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MEL STARR

Die Tintenspur

Der dritte Fall für Hugh de Singleton

Deutsch von Dorothee Dziewas

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddn.de abrufbar.


Alle Rechte vorbehalten
Originaltitel: A Trail of Ink
© 2010 by Mel Starr
Published by Lion Fiction
an imprint of Lion Hudson plc
Wilkinson House, Jordan Hill Road, Oxford OX2 8DR.



© der deutschsprachigen Ausgabe
2016 Brunnen Verlag Gießen
www.brunnen-verlag.de
Umschlagfoto: FinePic, München
Umschlaggestaltung: Wolfgang Staisch, ZERO Werbeagentur
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-7655-7386-6

Für Fran und Larry

Danksagung

An einem Nachmittag im Juni 1990 entdeckten meine Frau Susan und ich eine entzückende Pension in dem kleinen Dorf Mavesyn Ridware. Tony und Lis Page, die Inhaber, wurden gute Freunde. 2001 besuchten wir sie wieder, nachdem sie nach Bampton gezogen waren. Ich erkannte rasch, dass Bampton eine ideale Kulisse für die Geschichten abgeben würde, die ich schreiben wollte. Tony und Lis waren eine reiche Informationsquelle für mich, was die Geschichte von Bampton betrifft, und ich bin ihnen sehr dankbar.

Als Dan Runyon, Professor für Englisch an der Universität Spring Arbor, erfuhr, dass ich Verräterische Gebeine schrieb, lud er mich ein, vor seinen Studierenden über die Probleme eines Schriftstellerneulings zu berichten. Dan schickte einige Probekapitel an seinen Freund Tony Collins, der bei Lion Hudson Cheflektor für das Imprint Monarch Books war. Danke, Dan.

Herzlichen Dank auch an Tony Collins und die wunderbaren Mitarbeiter von Lion Hudson für ihre Bereitschaft, einen neuen Autor zu veröffentlichen, der noch keine Erfolgsgeschichte vorweisen konnte.

Mein Dank gilt auch dem Studenten Brian Leyder von der Spring Arbor University für den Titelvorschlag für Hugh de Singletons dritten Fall.

Das moderne Oxford ähnelt der mittelalterlichen Stadt, aber vieles hat sich doch verändert. Straßen haben oft andere Namen als vor sechshundert Jahren. Dr. John Blair war mir eine große Hilfe dabei, einen Weg durch die Unterschiede zwischen Moderne und Mittelalter zu finden. Sollte der Leser sich jedoch in den schmalen Gassen des mittelalterlichen Oxfords verlaufen, ist dies allein meine Schuld und nicht die von Dr. Blair.

Mel Starr

Glossar

Angelusgeläut: Ertönte dreimal am Tag, und zwar bei Tagesanbruch, zu Mittag und bei Einbruch der Dunkelheit. Es markierte den Beginn des Angelusgebetes.

Aufgebot: Offizielle Verkündung einer Heiratsabsicht in der Pfarrkirche an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen.

Beinlinge: Eng anliegende Hosen, oft zweifarbig (eine Farbe für jedes Bein).

Bürger: Städtischer Kaufmann oder Händler.

Büttel: Gehilfe und Handlanger des Schultheiß.

Burgvogt: Der wichtigste Repräsentant eines Gutsherrn. Er war mit allen Geschäften betraut, sammelte Pacht und Strafgelder ein und sorgte dafür, dass Hörige und Pächter ihre Frondienste verrichteten. Kein beliebter Mann.

Claret: Gelblicher oder hellroter Wein aus der Region Bordeaux.

Cotehardie: Das wichtigste Kleidungsstück im Mittelalter. Die Cotehardie einer Frau reichte bis zum Boden, die der Männer bis zum Unterschenkel oder Fußgelenk.

Disputation: Akademisches Streitgespräch, in dem Universitätsgelehrte ihre unterschiedlichen Positionen zu bestimmten Themen öffentlich ausdiskutieren.

Dritte Stunde: 9 Uhr morgens.

Drogist: Kenner von Kräutern und anderen Heilmitteln.

Farthing: Ein Viertelpenny. Die kleinste Münze.

Feuerschale: Eine Schüssel mit Öl und einem schwimmenden Docht, der angezündet wird.

Freie Söldnerkompanien: Während des Hundertjährigen Krieges schlossen sich in Friedenszeiten Banden arbeitsloser Ritter zusammen und verwüsteten das Land. Vor allem Frankreich litt darunter.

Fuß: Längenmaß; 30,48 Zentimeter (12 Zoll).

Gugel: Kopfbedeckung, die das Gesicht umschließt und bis auf die Schultern reicht. Oft ist sie mit einem langen Zipfel versehen.

Halfpenny: Halber Penny.

Hochgericht: Auch Blutgericht; königliches Gericht im Mittelalter, das für Schwerverbrechen wie Mord, Raub, Vergewaltigung oder Hexerei zuständig war.

Höriger: Ähnlich wie der Leibeigene an das Land seines Herrn gebunden und ihm Arbeitsdienste schuldig, im Gegensatz zum Leibeigenen war er dies jedoch aus freien Stücken.

Hufe: Ein altes Flächenmaß, etwa 30 Morgen. Es bezeichnete eine landwirtschaftliche Fläche, die mit einem Pflug bestellt werden kann und damit der Arbeitskraft einer Familie entspricht.

Kalefaktorium: Die Wärmestube eines Klosters. Bei den Benediktinern durfte ab 1. November Feuer gemacht werde. Die strikteren Zisterzienser hatten kein Kalefaktorium.

Kammerdiener, auch Kämmerer: Bediensteter fürstlicher Höfe, der für alle Angelegenheiten der Hausverwaltung des Grundherrn zuständig ist.

Kanoniker: Ein nicht monastischer Geistlicher, der unter ähnlichen Regeln wie Ordensleute lebte. Normalerweise diente er nicht dem einfachen Volk.

Kapaun: Kastrierter Hahn.

Kardieren: Das Auskämmen von gezupfter Wolle mittels zweier Karden, mit Stahlhäkchen versehenen Brettern.

Katharinentag: 25. November. Die Heilige Katharina war die beliebteste Heilige im mittelalterlichen Europa. An ihrem Namenstag wurden ihr zu Ehren Prozessionen abgehalten.

Kemenate: Beheizter Wohnraum in der Burg, der Frauen, Rittern und Adligen vorbehalten war.

Kleriker: Im Mittelalter Angehöriger des geistlichen Standes, auch mit niederen Weihen (Diakon, Subdiakon, Vikar; allgemein auch schreibkundige Leute, Studierende und Studierte – vornehmlich der Rechtswissenschaft.

Korduanleder: Feines Leder aus dem spanischen Cordoba.

Küster: Ein klösterlicher Beamter, der für Gebäude und Gewänder, aber auch für das Einhalten der Zeiten zuständig war.

Lammastag: 1. August. An diesem Tag wurde für eine gelungene Weizenernte gedankt.

Lichtmess: 2. Februar. Fest der Darstellung des Herrn im Tempel. Früher auch „Mariä Reinigung“ genannt. An diesem Tag zogen die Frauen mit entzündeten Kerzen durch die Kirche. Außerdem wurde die Arbeit auf dem Feld wieder aufgenommen.

Magister: Akademischer Grad; Lehrer oder Meister.

Mark: 13 Schillinge und 4 Pence – 160 Pence.

Martinstag, Sankt Martin: 11. November. Der traditionelle Tag, an dem Tiere als Nahrung für den Winter geschlachtet wurden.

Matutin: Frühmesse zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen; auch Laudes genannt.

Meile: Längenmaß; ca. 1,6 Kilometer.

Mengbrot: Brot, das aus einer Getreidemischung hergestellt wurde; meistens Weizen und Roggen oder Gerste und Roggen.

Michaelis: 29. September.

Neunte Stunde: 3 Uhr nachmittags.

Niedergericht: Gerichtsbarkeit des Grundherrn, das in der Regel mit geringfügigen Delikten befasst war und Leibstrafen oder Geldbußen verhängte.

Non: Gebet zur neunten Stunde.

Oyer et terminer: „Hören und entscheiden“ – ein Schwurgerichtsverfahren, bei dem der Richter allein, ohne die Beteiligung von Schöffen oder einer Jury, das Urteil sprechen konnte.

Pfründe: Ein Einkommen aus einem weltlichen oder kirchlichen Amt; oft in Form der Verköstigung oder Unterhaltszahlung.

Pfund: Gewichtseinheit, entspricht etwa 0,453 Kilogramm.

Pinte: altes Raummaß, entspricht 0,5683 Litern.

Privilegium fori: Rechtsprivileg für Kleriker, das sie davor schützte, von einem weltlichen Gericht verurteilt werden zu können.

Schaugericht: Ein ausgefallenes Dessert, das vor allem die Künste des des Kochs zeigen sollte.

Schilling: Englische Münze im Wert von 12 Pence. 12 Schillinge ergeben ein Pfund.

Scholastika: Schwester des heiligen Benedikt von Nursia, Gedenktag: 10. Februar. Am 10. Februar 1355 kam es in Oxford zu Studentenunruhen, nachdem zwei Studenten sich in einem Gasthaus über verwässerte Getränke beschwert hatten und die Polizei sie festnehmen ließ.

Schritt: Maßeinheit, ca. 75 cm.

Schultheiß: Oberster Dienstmann auf einem Gutshof. Er führte die Aufsicht über Geld- und Rechtsangelegenheiten.

Schwarzer Tod: Die große Pestseuche von 1347 bis 1353, die etwa ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung auslöschte.

Sechste Stunde: 12 Uhr mittags.

Sext: Gebet zur sechsten Stunde.

Stephanustag: 26. Dezember.

Stone: Gewichtseinheit, 14 Pfund oder 224 Unzen.

Terz: Gebet zur dritten Stunde.

Vesper: Abendgebet.

Vigil: Mitternachtsmesse. Danach gingen die Benediktiner wieder schlafen. Zisterzienser hingegen blieben auf und begannen den neuen Tag.

Vogt: Herrschaftlicher, meist adeliger Beamter, der in einem bestimmten Gebiet im Namen des Landesherrn regierte; der Vogt hatte oft den Vorsitz im Landgericht.

Zelter: Mittelalterliche Bezeichnung für ein leichtes Reitpferd oder Maultier, das den besonders ruhigen Zeltgang beherrschte.

Zoll: Längenmaß, 2,54 cm.

1

Noch nie hatte ich Magister John Wyclif so aufgewühlt gesehen. Selbst in heftigen Diskussionen mit den anderen Lehrenden an der Universität geriet er selten in Verlegenheit. Aber einem Gelehrten die Bücher zu rauben, so erklärte er mir später, als ich sie ihm zurückbrachte, sei ebenso verwerflich, wie einem Mann die Frau zu stehlen. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht einschätzen, wie zutreffend seine Meinung war – ich hatte keine Frau und nur wenige Bücher.

Aber ich war an jenem Montag, dem 20. Oktober im Jahr des Herrn 1365, nach Oxford gekommen, um etwas gegen diesen meinen einsamen Stand zu unternehmen. Ich stellte mein Pferd beim Gasthaus Stag and Hounds ein und ging geradewegs zum Geschäft des Tintenmachers und Pergamenthändlers Robert Caxton, dessen nicht unansehnliche Tochter Kate dabei half, die noch unbeweibten Studenten, die Magister, Kirchenleute, Schreiber und Juristen, die Oxford heimsuchen wie Flöhe einen Hund, als Kunden zu gewinnen.

Mein vorgeblicher Grund für einen Besuch in Caxtons Werkstatt war es, Pergament und neue Tinte zu kaufen, die ich benötigte, um meinen Bericht über den Tod des Büttels Alan und von Henry atte Bridge fertigzustellen. Als Vogt von Bampton Castle war es meine Aufgabe gewesen, diese Morde aufzuklären, was ich auch tat, aber erst nachdem ich selbst auf dem Heimweg von meinen Nachforschungen überfallen worden war und man mir zwei Mal auf nächtlichen Friedhöfen fast den Schädel eingeschlagen hätte. Hätte ich gewusst, dass mich derartige Tätlichkeiten erwarteten, ich hätte das Angebot von Lord Gilbert Talbot, als sein Vogt in Bampton Castle zu dienen, wohl abgelehnt und wäre Hugh, der Chirurg, in der High Street von Oxford geblieben.

Kate versprach, mir ein Fässchen Tinte zu mischen, das ich am nächsten Tag abholen könne, und als sie das Geschäft verließ, um hinten in der Werkstatt mit ihrer Arbeit fortzufahren, sprach ich mit ihrem Vater. Robert Caxton wusste sehr wohl, welche Wirkung Kate auf junge Männer hatte. Als ich ihn um die Erlaubnis bat, seiner Tochter den Hof machen zu dürfen, zeigte er kein großes Erstaunen.

Ich hatte im besten Fall Stirnrunzeln erwartet und im schlimmsten eine Ablehnung. Ich bin nur ein schlichter Chirurg und Burgvogt. Chirurgen haben in Oxford, das vor Wundärzten nur so wimmelt, keinen besonders guten Ruf, und nur wenige ehrliche Männer wünschen sich wohl einen Burgvogt als Ehemann für die eigene Tochter. Und gewiss gab es genug wohlhabende Bürgersöhne und junge Magister der Juristerei auf sicherem Weg zu beträchtlichem Wohlstand, die ein Auge auf die anmutige Kate geworfen hatten. Aber als ich Caxtons Erlaubnis erbat, um seine Tochter zu werben, nickte er zustimmend. Vielleicht half die Tatsache, dass ich wenige Wochen zuvor seinen verletzten Rücken kuriert hatte, mir bei meinem Ansinnen.

Ich verließ das Geschäft des Tintenmachers voller Freude, aber auch mit Besorgnis. Die Freude werdet Ihr verstehen – oder würdet es, hättet Ihr Kate gesehen und ein wenig Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht. Besorgt war ich, weil ich am nächsten Tag etwas beginnen musste, das ich nicht gelernt und worin ich kaum Erfahrung hatte. Während meines Studiums in Balliol College war ich zu sehr in meine vorgeschriebenen Bücher vertieft gewesen, um mich damit zu beschäftigen, wie man einer Jungfer den Hof macht, und keiner der dicken Bände, die ich damals studierte, befasste sich mit diesem Thema. Das Studium der Logik klammerte dieses Thema völlig aus. Und seither boten meine Pflichten als Chirurg und Burgvogt nur selten die Gelegenheit, mich im Geplauder mit anziehenden Damen zu üben. Außerdem gibt es in Bampton nicht viele Damen in meinem Alter und Familienstand.

Von Caxtons Geschäft aus ging ich durch die Holywell und die Catte Street zum Tor des Colleges Canterbury Hall in der Schidyard Street. Währenddessen entwarf ich in Gedanken Worte, die Kate Caxton beeindrucken könnten. Doch am nächsten Tag hatte ich die meisten dieser Einfälle bereits wieder vergessen. Und das war auch gut so.

John Wyclif, früher Magister am Balliol College und mein Lehrer dort, war jüngst zum Vorsteher von Canterbury Hall ernannt worden. Vor einigen Monaten hatte ich Meister John dort besucht. Damals haderte ich mit meiner Unfähigkeit, den Mörder der beiden Toten von Bampton zu finden, und in meiner Ratlosigkeit hatte ich Wyclifs Rat gesucht. Er hatte mich ermutigt, aber als ich ihn damals verließ, war ich keineswegs sicher gewesen, die Angelegenheit jemals aufklären zu können.

Inzwischen aber war es mir gelungen, und so suchte ich Magister John nun auf, um ihm davon zu berichten und erneut seine Gastfreundschaft für die Nacht in Anspruch zu nehmen. Der Pförtner erkannte mich und schickte mich zu Magister Johns Kammer. Ich erwartete, ihn wie gewöhnlich über ein Buch gebeugt anzutreffen, wie meist bei meinen Besuchen. Aber keineswegs. Als ich klopfte, öffnete er die Tür, erkannte mich und platzte mit den Worten heraus: „Meister Hugh … man hat meine Bücher gestohlen.“

Diese Begrüßung erschreckte mich. Ich spähte über die Schulter des Gelehrten, als erwartete ich, die Übeltäter mitsamt den erbeuteten Bänden hinter ihm zu erblicken. Mein Blick fiel auf einen Tisch und den Schrank des Magisters, in dem er die Bücher aufbewahrte. Beide waren leer. Er wandte sich um und folgte meinem Blick.

„Fort“, flüsterte er. „Alle fort.“

„Wer hat das getan?“, fragte ich törichterweise. Hätte Magister John es gewusst, er wäre den Dieben nachgejagt und hätte sich die Bücher zurückgeholt. Oder er hätte den Sheriff geschickt, damit der es für ihn tat.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Wyclif. „Vor drei Tagen ging ich zum Abendessen. Als ich zurückkam, waren die Bücher verschwunden … sogar der Band, der aufgeschlagen auf meinem Tisch lag.“

Magister John ist kein reicher Mann. Er hat die Pfarrstelle von Fillingham und die Pfründe von Aust, aber sie versorgen einen Magister in Oxford, der an einem Abschluss in Theologie arbeitet, nur mit dem Nötigsten. Der Verlust von Büchern, die man während seiner lebenslangen Studien angesammelt hat, wäre ein Schlag für jeden Gelehrten, ob er nun vermögend ist oder mittellos.

„Der Pförtner hat nicht gesehen, dass ein Fremder das Gelände betreten oder verlassen hat, während wir beim Essen waren“, fuhr Wyclif fort. „Am folgenden Tag ging ich zum Sheriff, aber Sir John hat andere Sorgen.“

„Sir John?“

„Ja, Roger de Cottesford wurde abgelöst. Der neue Sheriff ist Sir John Trillowe.“

„Und er hat Euch nicht geholfen?“

„Er hat einen Beamten zu den Buch- und Pergamenthändlern in der Stadt geschickt, um zu sehen, ob jemand dort Bücher zum Verkauf angeboten hat. Zwei Bände hatte ich von Nicholas de Redyng geliehen. Er wird erschüttert sein, wenn er hört, dass sie verschwunden sind.“

„Und … waren dort Bücher angeboten worden?“

„Jedenfalls keins von meinen. Und ich glaube, Sir John hat kein Interesse daran, sich weiter mit meinem Verlust zu befassen.“

Die Colleges waren immer darauf bedacht, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, ohne dass die Stadt und ihre Vertreter sich einmischten. Zweifellos war der Sheriff der Ansicht, dass Canterbury Hall nun auch die Freiheit haben sollte, ihre eigenen Diebe zu fangen, ohne seine Hilfe oder Einmischung.

„Wie viele sind es?“

„Meine Bücher? Zwanzig … und die beiden geliehenen.“

Ich rechnete im Kopf. Meister John erriet meine Gedanken.

„Die Bücher, die ich von Meister Nicholas geliehen habe … eins davon war Bedas Historia ecclesiastica. Es ist wohl beinahe dreißig Schillinge wert. Eins meiner eigenen Bücher war aus Papier, billig gebunden, aber die anderen waren aus Pergament und aufwendig hergestellt.“

„Dann ist Euer Verlust groß. Zwanzig Pfund oder mehr.“

„Ja“, seufzte Wyclif. „Vier Bände stammten aus meiner eigenen Feder. Manche würden sagen, sie seien nicht viel wert. Aber die anderen … Aristoteles, Grosseteste, Boethius – alle fort.“

Wieder seufzte Meister John, während er sich in seiner Kammer umsah, als hätte er die Bücher nur verlegt und könnte sie bei genauerem Suchen in den dunklen Ecken entdecken.

„Jedenfalls bin ich froh, dich zu sehen“, fuhr er dann fort. „Ich hatte schon überlegt, ob ich nach dir schicken soll.“

„Nach mir?“

„Ja. Ich hoffe, dass du meine gestohlenen Bücher suchst und sie mir zurückbringst.“

„Ich? Aber der Sheriff …“

„Sir John interessiert sich nicht für ein Verbrechen, dessen Aufklärung ihm kein üppiges Bußgeld einbringt. Es gibt Gerüchte, dass er König Edward sechzig Pfund für das Amt bezahlt hat. Ihm ist daran gelegen, seine Investition wieder hereinzubekommen, nicht daran, gestohlene Bücher zu finden.

Und du hast Geschick darin, Rätsel zu lösen“, fuhr Wyclif fort. „Du hast herausgefunden, wer die Leiche in Lord Gilberts Senkgrube war, und wenn ich nicht irre, weißt du inzwischen, wer deinen Büttel und den Burschen im Wald ermordet hat. Habe ich recht?“

„Ja. Es war so, wie ich vermutet hatte. Henry atte Bridge, der tot im Wald gefunden wurde, hatte Alan erschlagen. Der Büttel war ihm in der Nacht gefolgt, als Henry dem Vikar in St. Andrew’s Chapel ein Stück Wild brachte, das er in Lord Gilberts Wäldern gewildert hatte.“

„Wild? Einem Priester?“

„Ja … es ist eine lange Geschichte.“

„Zeit habe ich genug – und keine Bücher, mit der ich sie vertreiben könnte. Erzähl mir davon.“

Also berichtete ich Meister John von dem Skandal, dass der Priester von St. Andrew’s Chapel das Beichtgeheimnis gebrochen hatte. Und von der Erpressung, die er mit Henry atte Bridge ausgeheckt hatte – und mit Henrys Bruder Thomas –, und von all den anderen, die Wilderei, Ehebruch und Betrug gestanden hatten.

„Ich bin heute in Oxford, um Tinte und Pergament zu kaufen, damit ich diese Missetaten niederschreiben kann, solange sie noch frisch in meiner Erinnerung sind.“

„Und welcher Tintenmacher oder Pergamenthändler erfreut sich deiner Kundschaft?“

„Robert Caxton. Ihr selbst habt mich doch zu Caxtons Laden geschickt. Ihr wusstet, dass ich dort mehr finden würde als Bücher, Tinte und Pergament.“

„Tatsächlich? Ja, ich erinnere mich wieder, dass ich dir von dem neuen Händler erzählt habe, der mit seiner Tochter aus Cambridge hergekommen ist … ah, jetzt verstehe ich, was du meinst. Ich bin derzeit ein wenig schwer von Begriff. Ich kann an nichts anderes denken als an meine Bücher.“

„Ihr habt nicht vermutet, dass ich mich für die Tochter des Pergamenthändlers interessieren könnte?“

„Nein.“ Wyclif zog eine Grimasse. „Ich staune selbst über meinen Mangel an Auffassungsgabe. Du bist ein junger Mann mit gesunden Augen. Die Tochter des Händlers …“

„Kate“, sagte ich.

„Ja, Kate ist ein gefälliges Mädchen.“

„Das ist sie allerdings. Und heute habe ich die Erlaubnis ihres Vaters erhalten, um ihre Hand anzuhalten.“

Meister Johns kummervolle Miene hellte sich auf. Augen und Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. „Ich beglückwünsche dich, Hugh.“

„Seid nicht voreilig. Ich muss um sie werben und sie gewinnen, und in dieser Hinsicht habe ich, wie ich fürchte, mangelnde Fähigkeiten.“

„Ich habe keine Erfahrung in diesen Dingen. Diesbezüglich bist du auf dich allein gestellt. Ich brauche deinen Sachverstand im Lösen von Rätseln.“

„Aber ich bin bereits in Lohn und Brot.“

Meister John sah mich betrübt an. „Das hatte ich nicht bedacht“, gab er zu. „Lord Gilbert braucht deine Dienste … und bezahlt gut dafür, vermute ich.“

„Ja. Ich kann mir jetzt eine Ehefrau leisten.“

„Aber könnte die Stadt nicht eine oder zwei Wochen auf dich verzichten, bis meine Bücher wiedergefunden sind? Gewiss kann ein Chirurg … ach, schon gut. Du siehst, wie wenig ich an die Probleme anderer Menschen denke, wenn ich selbst welche habe.“

„Jeder Mensch denkt zuerst an sich selbst. Warum solltet Ihr eine Ausnahme sein?“, fragte ich.

„Warum? Weil mein unangebrachter Hochmut mir sagt, dass ich es sein sollte. Wünschst du das nicht auch, Hugh? Anders zu sein als das gemeine Volk? Sie kratzen sich, wenn es sie juckt, und rülpsen, wann und wo sie wollen, und Buchstaben auf einer Buchseite sind ihnen so fremd wie ein anderer Stern.“

„Aber … ich erinnere mich an eine Vorlesung …“

Wyclif zog eine Grimasse.

„… in der Ihr davon spracht, dass alle Menschen gleich seien, wenn sie vor Gott stehen. Keine Herren, keine Hörigen, allesamt Sünder.“

„Ha! Jetzt triffst du mich mit meiner eigenen Waffe! Es stimmt, dieselbe Predigt halte ich jedes Jahr. Aber auch wenn wir alle Sünder sind und alle gleichermaßen der Gnade Gottes bedürfen, sind in den Augen der Welt nicht alle Sünden gleich, so wie sie es in Gottes Augen sein mögen. Sonst wäre die Bestrafung immer die gleiche, unabhängig von dem begangenen Verbrechen.“

„Und was wäre eine angemessene Strafe für jemanden, der zwanzig Bücher gestohlen hat?“

Wieder verdüsterte sich Wyclifs Miene. „Zweiundzwanzig“, murmelte er. „Ich ändere meine Meinung jeden Tag“, fuhr er fort. „Als ich das Vergehen zum ersten Mal bemerkte, lief ich tobend durch dieses Gemäuer und drohte den Dieben mit dem Henker.“

„Und jetzt?“

Meister John lächelte grimmig. „Ich habe viel darüber nachgedacht. War der Dieb ein armer Mann, der seine Kinder vor dem Hungertod retten muss, würde ich womöglich gar keine Strafe verlangen, solange ich meine Bücher zurückerhalte. Aber wenn der Missetäter selbst ein Studierter ist, der die Mittel hätte, sich selbst Bücher zu kaufen, dann will ich, dass er eine hohe Geldstrafe entrichten muss und aus Oxford ausgewiesen wird, sodass er nie wieder hier studieren darf – oder lehren, sollte er selbst Magister sein.

Nicht nur die heilige, auch die weltliche Weisheit“, überlegte Wyclif weiter, „lehren uns, dass wir einander nicht antun sollten, was wir verwerflich finden, wenn es uns selbst widerfährt. Niemand sollte in Oxford einen Platz haben, der nicht nur Gott, sondern auch Aristoteles leugnet.“

„Ihr glaubt, jemand aus Oxford hat die Bücher geraubt?“

Wyclif kaute an einem Fingernagel, bevor er weitersprach. „Wer sonst sollte meine Bücher haben wollen oder ihren Wert kennen?“

„Das scheint mir die Krux zu sein“, erwiderte ich. „Ein Gelehrter wollte seine Bibliothek erweitern oder war in finanziellen Nöten, und da betrachtete er Eure Bücher als Möglichkeit, zu Geld zu kommen.“

Wie sich herausstellen sollte, gab es einen dritten Grund, warum jemand Meister John seiner Bücher berauben sollte, aber diese Erklärung für den Diebstahl kam mir erst später in den Sinn.

„Ich bin verloren“, seufzte Wyclif. „Ich bin ein Magister ohne Bücher, und ich weiß nicht, wie ich sie zurückbekommen soll.“

Ich fühlte mich schuldig, weil ich dem Mann nicht helfen konnte – wo er mir doch schon so oft geholfen hatte. Ich konnte nur mitfühlen, den Kopf schütteln und ihm mit bekümmerter Miene Gesellschaft leisten.

Während wir uns unterhielten, ging die Herbstsonne hinter dem ehrwürdigen Oxford Castle unter. Wyclif wollte gerade etwas sagen, als auf der anderen Seite des Hofes eine kleine Glocke ertönte.

„Abendessen“, erklärte er und lud mich ein, ihm ins Refektorium zu folgen.

Die Studenten in Canterbury Hall essen gut, aber einfach. Zu diesem Abendessen gab es Mengbrot – aus Weizen und Gerste –, Käse, eine Erbsensuppe, die mit etwas Schweinefleisch angereichert war, und Krüge mit verdünntem Dunkelbier. Ich wunderte mich darüber, dass es Schweinefleisch gab, denn einige der Studenten waren Benediktiner, denen nur Fleisch von zweibeinigen Tieren gestattet ist. Die Studenten sahen uns mit finsteren Blicken an, als wir eintraten. Sie alle wussten von dem Diebstahl und, so überlegte ich später, verdächtigten sich gegenseitig der Tat.

Eine wässrige Herbstsonne bemühte sich, über dem Wald und den Flussauen im Osten von Oxford aufzugehen, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Wyclif, mit hängenden Schultern und dunklen Ringen unter den Augen, die von einer schlaflosen Nacht zeugten, sagte mir Lebewohl. Ich wünschte meinem Lehrer alles Gute und versicherte ihm, ich würde dafür beten, dass seine Bücher schnell gefunden würden. Meister John glaubt an das Gebet, aber mein Versprechen, bei unserem Herrn Jesus Christus in dieser Sache für ihn einzutreten, schien nur ein schwacher Trost zu sein. Ich glaube, er hätte lieber meine Zeit und Mühen in Anspruch genommen als meine Gebete. Oder beides. Gebete kosten nicht viel. Sie fordern dem Menschen nur geringe, Gott aber dafür große Mühe ab. Christus lehrt uns, dass wir von ihm erbitten können, was wir wollen, aber ich habe den Verdacht, dass es ihm sehr recht wäre, wenn die Menschen sich an ihre Arbeit machten und ihn nur dann zu Hilfe riefen, wenn eine Aufgabe ihre eigenen Möglichkeiten übersteigt.

Darüber dachte ich nach, als ich durch die erwachenden Gassen von Oxford Richtung Holywell Street und zu Robert Caxtons Geschäft lief. Waren es wirklich meine Verpflichtungen Lord Gilbert gegenüber, die mich davon abhielten, Wyclifs gestohlene Bücher zu suchen? Oder war ich zu träge, um mehr zu tun als dafür zu beten, dass sie wieder auftauchten? Die Antwort, die sich mir aufdrängte, gefiel mir nicht.

Als ich mich dem Geschäft des Schreibwarenhändlers näherte, sah ich einen groß gewachsenen jungen Mann vor dem Haus stehen, der von einem Fuß auf den anderen trat. Der Bursche war kein Student. Er trug eine dunkelrote, kurze Cotehardie, die ein wohlgestaltetes Bein zeigte. Seine Beinkleider waren zweifarbig, grau und schwarz, und seine Gugel endete in einem langen gelben Zipfel, der auf modische Weise um seinen Kopf gewunden war. Die Farbe der Kopfbedeckung überraschte mich. Jeder, der London kennt, weiß, dass dort die Huren nach dem Gesetz gelbe Kopfbedeckungen tragen müssen, damit unbescholtene Mädchen und Ehefrauen unbehelligt durch die Straßen gehen können. Seine Schuhe waren aus feinem Leder, und die Spitzen bogen sich der unpraktischen Mode entsprechend nach oben.

Der Mann wirkte ungeduldig; während ich ihm zusah, schritt er zielstrebig an Caxtons Geschäft vorbei, kehrte dann um und ging in der entgegengesetzten Richtung, auf mich zu. Ich kam immer näher, sodass ich bei jeder Wendung sein Gesicht deutlicher erkennen konnte. Antlitz und Bart waren dunkel, ebenso die Augen. Der Bart war adrett gestutzt, und seine Augen beobachteten meine Ankunft über einer imposanten Nase – diese Nase zeigte jedoch im Gegensatz zu der meinigen geradeaus in die Welt, während meine sich nach rechts wendet. Er schien etwa mein Alter zu haben – um die fünfundzwanzig Jahre. Seine Schultern waren breit, er selbst jedoch schlank, obwohl das gute Leben zu ersten Ansätzen eines Wanstes geführt hatte.

Ich näherte mich dem Laden, verlangsamte jedoch meine Schritte. Caxton würde bald sein Geschäft öffnen, und ich nahm an, dass dieser Geck Pergament, Tinte oder ein Buch benötigte, obwohl er nicht so aussah wie jemand, der sich für das geschriebene Wort interessierte.

Vor dem Geschäft blieb ich stehen und leistete dem ungeduldigen Stutzer Gesellschaft, bis Robert Caxton die Tür aufschloss und die Läden öffnete, um sein Tagwerk zu beginnen. Der Tintenmacher blickte von mir zu seinem anderen Kunden, und ich hatte das Gefühl, als weiteten seine Augen sich. Mit einer kleinen Verneigung gab ich dem anderen Mann zu verstehen, dass er vor mir das Geschäft betreten sollte. Er war schließlich zuerst da gewesen.

Die Morgensonne stand tief im Südosten und reichte nicht weit in den Raum hinein. Aber auch wenn es dunkel war, sah ich doch, dass Kate nicht da war. Der Besitzer der roten Cotehardie sah es ebenfalls und sprach, bevor ich das Wort ergreifen konnte.

„Hat Mistress Kate ein wenig Muße?“, fragte er.

Caxton warf mir einen Blick zu und antwortete dann: „Bald. Sie füllt ein Fässchen Tinte in der Werkstatt ab. Es wird nicht lange dauern.“

„Ich warte“, sagte der Bursche lächelnd. „Es ist ein schöner Morgen. Und wenn Mistress Kate keine anderen Verpflichtungen hat, würde ich gerne mit ihr an den Flussauen spazieren gehen.“

Er hätte mir genauso gut einen Firstbalken über den Schädel ziehen können. Mir fiel die Kinnlade herunter, und ich fürchte, sowohl Caxton als auch der unbekannte Verehrer konnten einen guten Blick auf meine Rachenmandeln werfen.

Robert Caxton war nicht so fassungslos, als dass er seine Manieren vergessen hätte. Er stellte mich Sir Simon Trillowe vor. Ein Ritter. Und auf irgendeine Weise mit dem neuen Sheriff von Oxford verwandt, vermutete ich.

Als er erfuhr, dass ich lediglich Chirurg und der Burgvogt von Lord Gilbert Talbot war, nickte Sir Simon kurz und wandte sich ab, und sein Verhalten sagte, was höfliche Worte nicht ausdrücken konnten: Ich war unter seinem Stand und seiner Beachtung nicht würdig.

„Wir haben seit etlichen Monaten nichts von Ihnen gehört, Meister Hugh“, sagte Caxton.

Das stimmte. Während ich in Bampton Lord Gilberts Geschäften nachging, hatte ich die Werbung um Kate Caxton vernachlässigt. Und ehrlich gesagt fürchtete ich, Kate könnte mein Werben von sich weisen, wenn ich sie drängte. Ein Mann, der die Liebe nicht sucht, kann nicht enttäuscht werden.

„Zweifellos hat ein Burgvogt viel zu tun“, fuhr der Schreibwarenhändler fort.

Sir Simon hielt mich gewiss nur für einen Kunden und nicht für einen Rivalen im Kampf um die schöne Kate. Er würde es noch früh genug erfahren.

Die Tür zu Caxtons Werkstatt stand offen, und Kate musste diesen Wortwechsel hören, was mir sehr recht war. So hatte sie die Gelegenheit, sich zu sammeln. Einen Augenblick später betrat sie das Geschäft, in der Hand mein Fass mit der versprochenen Tinte und auf den Lippen ein ruhiges Lächeln, das sowohl mir als auch Sir Simon galt. Ich erwiderte das Lächeln, Trillowe jedoch nicht. Vielleicht vermutete er bereits, dass es nicht die Tinte war, die ich in Caxtons Geschäft am meisten begehrte.

„Mistress Kate.“ Sir Simon trat auf sie zu, als sie in der Tür erschien. „Es ist ein schöner Herbstmorgen … wie es nur noch wenige vor Wintereinbruch geben wird. Vielleicht können wir am Cherwell entlangschlendern … wenn Euer Vater Euch an diesem Vormittag entbehren kann.“

Mit diesen Worten wandte Trillowe sich an den Pergamenthändler. Caxton zuckte lediglich mit den Schultern.

„Gut.“ Sir Simon bot Kate seinen Arm, und sie stellte mit einem Lächeln und hoch gezogenen Augenbrauen in meine Richtung das Tintenfass auf den Tresen und ergriff Trillowes Arm. Wortlos verließen sie das Geschäft.

Caxton hielt offenbar eine Erklärung für angebracht. „Ihr wart den ganzen Sommer über nicht hier. Kate dachte, Ihr hättet kein Interesse. Gestern Abend erzählte ich ihr, dass Ihr gebeten habt, ihr den Hof machen zu dürfen. Aber Sir Simon war seit Lammas ein Dutzend Mal hier … andere auch.“

„Andere?“

„Oh ja. Meine Kate zieht die jungen Männer ins Geschäft. Allerdings hat keiner von ihnen meine Erlaubnis erbeten, um sie werben zu dürfen. Außer Euch.“

„Auch nicht Sir Simon?“

„Nein. Er ist der zweite Sohn des Sheriffs und von Stand ein Ritter. Er wird jemanden wie mich nicht fragen, was er tun und lassen darf.“

„Und Kate erwidert sein Interesse?“

Wieder zuckte Caxton mit den Schultern. „Sie ist jetzt dreimal mit ihm ausgegangen. Ein Ritter, was soll man sagen. Und der Sohn des Sheriffs. Da kann man einem Mädchen keinen Vorwurf machen.“

„Nein“, stimmte ich zu.

„Allerdings kann ich mir nicht denken, dass sein Vater erfreut wäre. Die Tochter eines Tintenmachers und Buchhändlers! Ein Skandal in Oxford Castle, wenn das bekannt wird, was gewiss inzwischen der Fall ist“, sinnierte Caxton.

„Das ist wahr. Die Ländereien seines Vaters werden an seinen Bruder gehen. Der Sheriff wird wollen, dass Sir Simon sich eine Gattin mit eigenen Ländereien nimmt.“

Ich hoffte, dass es so war. Aber wenn ein zweiter oder dritter Sohn etwas tut, das dem Vater missfällt, ist es schwierig, ihn zu bestrafen. Wie kann ein Mann einen Sohn enterben, der ohnehin nichts oder nur wenig erhalten wird? Wenn also ein Sohn, der Kate Caxton den Hof machte, den Sheriff von Oxford verärgerte, könnte ein solches Vergehen ungeahndet bleiben. Das war ein Gedanke, der mir wenig Freude bereitete.