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Peter Scazzero

Glaubensriesen -
Seelenzwerge

Geistliches Wachstum und emotionale Reife

„Es ist unmöglich, im Glauben Fortschritte zu machen und gleichzeitig emotional unreif zu bleiben."

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Titel der amerikanischen Originalausgabe: Emotionally Healthy Spirituality.

Unleash a Revolution in Your Life in Christ. Copyright © 2006 by Peter Scazzero.

Originalausgabe: Integrity Publishers, a division of Thomas Nelson, Inc.,

Nashville, Tennessee, USA. All rights reserved.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Evelyn Sternad und Renate Hübsch

Bibelzitate folgen i. d. R. der Bibelübersetzung „Hoffnung für alle"®

© 1983, 1996, 2002 by Biblica Inc.™

Übersetzt und herausgegeben durch: Brunnen Verlag Basel, Schweiz.

Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Wo andere Übersetzungen verwendet werden, sind sie wie folgt gekennzeichnet:

EÜ - Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift.

© 1980 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart.

L - Lutherbibel in der revidierten Fassung von 1984.

© 1985 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

3. Auflage 2011

© 2008 Brunnen Verlag Gießen

www.brunnen-verlag.de

Umschlagmotive: Art Parts, spoon design

Umschlaggestaltung: spoon design, Olaf Johannson

Satz: Die Feder GmbH, Wetzlar

Herstellung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN 978-3-7655-7033-9

 

 

Einleitung

Einleitung

Dieses Buch will nicht nur Information weitergeben. Es will Leben verändern. Es ist die Einladung zu einer tieferen, umfassenderen Beziehung zu Jesus. Es erwartet von Ihnen, dass Sie sich auf eine Reise ins Unbekannte einlassen - wie Abraham, als er seine Heimat verließ. Das Buch geht der Frage nach, wie emotionale Gesundheit oder gesundes Persönlichkeitswachstum und geistliche Reife oder Wachstum im Glauben zusammengehören. Diesen Zusammenhang zu verstehen, kann wirkliche Veränderung im Kern Ihrer Existenz bewirken. Und dies wird sich auf alle Ihre Beziehungen auswirken.

Was ich Ihnen hier vorstelle, ist das Ergebnis eines Veränderungsprozesses, der sich in den letzten Jahren in meiner eigenen Gemeinde, der New Life Fellowship Church in New York City, vollzogen hat. Dort hatten wir begonnen, unsere Aufmerksamkeit der Frage zu widmen, wie eigentlich ein geistlich gesundes Gemeindeklima aussehen muss, das Menschen auch zu emotionaler Gesundheit und Reife verhilft.1 Während der vergangenen Jahre gab es aus reichend Gelegenheit, unsere Einsichten zu überdenken und weiterzuentwickeln. Und nun möchte ich unsere Erfahrungen einem größeren Kreis von Menschen zur Verfügung stellen.

Was mich vor allem zum Schreiben bewegt, ist eine Leidenschaft dafür, Menschen von heute die jahrhundertealten Schätze der Kirche neu zugänglich zu machen. So haben wir in unserer Gemeinde die kontemplative Tradition der Kirche wiederentdeckt. Das hat unsere evangelistische Arbeit ebenso verändert wie unsere Weise, Menschen zu einem gesunden Wachstum im Glauben zu verhelfen. Unsere Arbeit hat dadurch an Tiefe, an Wissen um einen geistlichen Reichtum und spürbar an heilsamer Ganzheitlichkeit gewonnen. Die Auswirkung auf das Leben vieler Menschen kam einer Explo sion gleich (eine bessere Bezeichnung fällt mir nicht ein!).

Ich bin seit neunzehn Jahren leitender Pastor der New Life Fellowship Church. Jede Woche kommen Menschen aus über fünfundsechzig Nationen durch unsere Kirchentür. Damit haben wir die einzigartige Gelegenheit, dieses Material an die Bedürfnisse der ört lichen Kirchengemeinde anzupassen. Das war eine anregende Erfahrung. Alles, was ich im Folgenden darlegen werde, ist im Leben unserer Gemeinde in der Realität getestet worden.

Jetzt sind Sie an der Reihe. Bitte lesen Sie dieses Buch nicht einfach durch und legen es dann aus der Hand. Beten Sie darüber … denken Sie darüber nach … lassen Sie sich Zeit, um die Anstöße wahrzunehmen, die Gottes Geist Ihnen geben möchte. Schreiben Sie auf, wie Gott zu Ihnen spricht. (Wenn ich ein Buch lese, in dem Gott für mich lebendig wird, notiere ich mir auf der Einbandinnenseite wichtige Sätze zusammen mit der Seitenzahl.)

Das Buch ist einfach gegliedert. Teil I trägt den Titel „Lebensfeindliche Spiritualität“. Er verdeutlicht, wie eine Spiritualität aussieht, bei der eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung auf der Strecke bleibt. Eine Schlüsselstelle bildet Kapitel drei: Es legt dar, warum emotionale Reife und eine bewusst gestaltete Spiritualität Voraussetzungen dafür sind, dass eine wirkliche Veränderung in den Tiefenschichten unseres Wesens erfolgen kann. Teil II zeigt konkrete Wege auf, die man beschreiten kann, um eine emotional gesunde Spiritualität zu entwickeln.

Johannes vom Kreuz schrieb in der Einleitung zu seinem Buch Lebendige Liebesflamme, seine Worte seien „so weit von der Wirklichkeit entfernt wie ein Gemälde von dem lebendigen Gegenstand, den es darstellt“.2 Trotzdem hat er sich darangemacht, aufzuschreiben, was er erkannt hatte. Für dieses Buch gilt Ähnliches. Es kann auf keine Weise den unerschöpflichen und von unserem Verstand nicht zu ermessenden Gott einfangen, dem unsere Liebe gilt. Erinnern Sie sich beim Lesen also daran, dass Sie nur das Gemälde vor sich haben, nicht das Original. Aber es kann uns den Weg zeigen zu einer reicheren, authentischeren Begegnung mit dem Gott, der uns in Christus nahekommt. Wenn Sie sich danach sehnen, dass Gott Sie und die Menschen in Ihrem Umfeld verändert, dann lade ich Sie ein: Blättern Sie um und beginnen Sie Ihre Reise.

Teil I Lebensfeindliche Spiritualität

Teil I

Lebensfeindliche Spiritualität

Das Problem einer Spiritualität, die uns emotional verkümmern lässt

1 Die Eisberg-Spiritualität Etwas läuft grundlegend falsch

1

Die Eisberg-Spiritualität

Etwas läuft grundlegend falsch

Christliche Spiritualität, der es nicht auch darum geht, die emo tionale Reife des Menschen zu fördern, kann tödlich sein – für Sie selbst, für Ihre Beziehung zu Gott und für die Menschen, mit denen Sie zusammenleben. Ich weiß, wovon ich spreche. Nachdem ich die erste Hälfte meines Lebens auf diese Weise gelebt habe, kann ich es mit mehr persönlichen Erfahrungen belegen, als mir lieb ist.

Die folgende würde ich lieber vergessen.

Ich lernte John und Susan kennen, als ich in einer anderen Gemeinde predigte. Im Lauf des Gesprächs äußerten sie die Absicht, mich einmal in meiner eigenen Gemeinde zu besuchen. An einem heißen, schwülen Sonntag im Juli legten sie die anstrengende Strecke von Connecticut zurück und besuchten alle drei Gottesdienste, die es sonntags bei uns gibt. Zwischendurch bemerkte John beiläufig, dass sie sich gerne anschließend noch mit meiner Frau und mir unterhalten würden.

Ich war geschafft. Aber meine größere Sorge war, was ihr Pastor, übrigens ein Freund von mir, denken würde. Was würden sie ihm erzählen, wenn ich sie einfach so heimschickte? Also log ich.

„Natürlich gern. Geri wird sich sicher auch freuen!“

Ich rief Geri an, und in ihrem Bemühen, eine „gute Pastorenfrau“ zu sein, war sie einverstanden, obwohl sie lieber abgesagt hätte. John, Susan und ich kamen gegen drei Uhr zu Hause an. Nach wenigen Minuten saßen wir gemeinsam beim Essen.

Dann fing John an zu reden … und zu reden … und zu reden. Susan sagte nichts.

Geri und ich warfen uns gelegentlich Blicke zu. Wir hatten den Eindruck, dass wir ihnen Zeit zugestehen mussten. Aber wie viel?

John redete weiter … und weiter … und weiter …

Ich konnte ihn nicht unterbrechen. Er erzählte mit solcher Intensität von Gott, seinem Leben, seinen neuen Möglichkeiten am Arbeitsplatz. Mein Gott, ich will liebevoll und freundlich sein, aber wann ist es genug?, fragte ich mich, während ich so tat, als würde ich zuhören. Ich war wütend. Dann fühlte ich mich schuldig wegen meiner Wut. Ich wollte, dass wir auf John und Susan den Eindruck gastfreundlicher und liebenswürdiger Menschen machten. Warum gab er seiner Frau nicht die Gelegenheit, auch einmal etwas zu sagen? Warum nicht uns?

Schließlich ging Susan auf die Toilette. John musste kurz telefonieren. Als wir allein waren, ergriff Geri das Wort.

„Pete, wie konntest du dich darauf einlassen?“, sagte sie ver ärgert. „Ich habe dich den ganzen Tag nicht zu Gesicht bekommen und die Kinder auch nicht!“

Ich ließ den Kopf hängen, zog die Schultern hoch und hoffte, dass meine Demutsgeste sie gnädig stimmen würde. Sie tat es nicht.

Susan kam zurück, und John redete weiter. Ich hasste jeden Moment dieses Gesprächs. Geri saß neben mir und schwieg. Ich wagte nicht, sie anzusehen.

Nach einer weiteren Stunde platzte Geri in einer seltenen Pause heraus: „Ich habe schon eine ganze Weile nichts mehr von Faith gehört.“ Faith war unsere dreijährige Tochter.

John redete weiter, als ob Geri nichts gesagt hätte. Geri und ich sahen uns an und taten auch weiterhin so, als ob wir zuhörten. Hin und wieder streckten wir uns, um aus dem Fenster zu sehen.

Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung, versuchte ich mich selbst zu überzeugen.

Geris Gesicht verriet Anspannung und Sorge. Mir war klar, dass sie im Geiste alle möglichen Aufenthaltsorte von Faith durchging.

Das Haus war bei Weitem zu ruhig.

John redete immer noch.

Schließlich hielt Geri es nicht länger aus. „Ich muss jetzt nach unserer Tochter sehen.“

Sie rannte in den Keller. Keine Faith. Die Schlafzimmer. Keine Faith. Das Wohn- und Esszimmer. Keine Faith.

Panisch kam sie zurück in die Küche. „Pete! Mein Gott, ich kann sie nirgends finden. Sie ist nicht da!“

Unsere Augen trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Wir dachten beide an das, was wir uns lieber nicht vorstellen wollten: Der Swimmingpool! Wir rannten in den Garten … und sahen un sere schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet.

Faith stand mitten im Pool, mit dem Rücken zu uns – unsere dreijährige Tochter, nackt, auf Zehenspitzen. Das Wasser reichte ihr bis zum Kinn, eigentlich fast bis zum Mund.

Ich spürte, wie wir in diesem einen Augenblick fünf Jahre älter wurden.

„Faith, nicht bewegen!“, schrie Geri, während wir losstürmten, um sie aus dem Pool zu ziehen.

Irgendwie hatte Faith es geschafft, ohne hinzufallen die Leiter hinauf- und in den Pool hineinzuklettern. Und sie hatte es geschafft, für ich weiß nicht wie lange Zeit auf ihren Zehenspitzen zu stehen.

Wenn sie ausgeglitten wäre, hätten Geri und ich unsere Tochter beerdigen müssen. Noch jetzt, während ich dies schreibe, zittern mir die Finger.

Die traurige Wahrheit dabei ist: Dieser Vorfall hat nichts in uns verändert. Dazu brauchte es fünf weitere Jahre, noch mehr Schmerz und einige tragische Erlebnisse.

Ich war geistlich. und emotional auf einer unreifen Entwicklungsstufe stehen geblieben

Wenn ich zurückblicke, ist es mir peinlich, wie unehrlich und unreif ich mich benommen hatte. John war nicht das Problem, ich war es Äußerlich wirkte ich freundlich, liebenswürdig und geduldig. Aber innerlich war ich nichts von alledem. Es war mir so wichtig, das perfekte. Bild des guten Christen zu präsentieren, dass ich mich nicht dem stellte, was in mir vorging. Unbewusst dachte ich: Werden diese Leute uns mögen? Werden sie glauben, dass wir in Ordnung sind? Wird John meinem Freund auch nur Gutes über mich erzählen?

Zu tun als ob war besser, als ehrlich und verletzlich zu sein.

Die Wahrheit ist, dass mein langjähriges Christsein und meine ganze Spiritualität einige tiefe innere Wunden und sündhafte Verhaltensmuster noch gar nicht berührt hatten – besonders nicht jene hässlichen Züge, die hinter den verschlossenen Türen unseres Hauses bei Streitigkeiten, Konflikten und Misserfolgen zutage traten.

Ich war geistlich und emotional auf einer unreifen Entwicklungsstufe stehengeblieben. Und was ich damals als christliche Lebenspraxis kannte, veränderte auf dieser tieferen Ebene meines Lebens gar nichts. Irgendetwas war grundlegend faul an meiner Spiritualität – aber was?

Kirchenaussteiger

Wissenschaftler haben die Beweggründe von Menschen erforscht, die gemeinhin als „Kirchenaussteiger“ bezeichnet werden, eine Gruppe, die ständig wächst. Einige dieser Aussteiger sind gläubig, besuchen aber keine Gemeinde mehr. Diese Frauen und Männer hatten sich ehrlich für Christus entschieden, haben aber in einem langen schmerzlichen Prozess feststellen müssen, dass die Spiritualität, die ihnen in Kirchen geboten wird, zu keiner tiefen Veränderung oder Ähnlichkeit mit Christus geführt hat, weder in ihrem eigenen Leben noch bei anderen.

Was war falsch gelaufen? Sie folgten Jesus mit ehrlichem Herzen. Aber wie alle anderen kämpften sie mit Problemen in ihrer Ehe, mit Konflikten in Freundschaften und als Eltern, sie kämpften mit dem Leben als Single, mit Sexualität, Sucht und Gefühlen von Versagen und Depression. Sie sahen in der Gemeinde bei emotionalen Konflikten die gleichen Verhaltensmuster wie außerhalb. Was lief in den Gemeinden falsch?

Andere bleiben in der Gemeinde, beteiligen sich aber nicht mehr am Gemeindeleben. Nach vielen Jahren der Enttäuschung gestehen sie sich schließlich ein, dass die Schwarz-Weiß-Perspektive auf das Leben und den Glauben, die sie geboten bekommen, sich nicht mit ihrer Lebenserfahrung deckt. Darum steigen sie aus – zumindest innerlich. Wegen der Kinder oder vielleicht einfach nur, weil sich keine Alternative bietet, bleiben sie in der Gemeinde, werden aber passiv. Sie können das Problem nicht genau artikulieren, aber sie wissen, dass etwas nicht stimmt.

Eine dritte Gruppe entscheidet sich schließlich dafür, den Glauben komplett über Bord zu werfen. Sie können es nicht länger ertragen, sich auf ihrem geistlichen Weg behindert und gefangen zu fühlen. Und sie haben die Nase voll von Christen, die sich trotz ihres enormen „Wissens“ über Gott und all ihrer Frömmigkeit zornig, zwanghaft, voreingenommen, defensiv und überheblich benehmen und außerdem bei Weitem zu beschäftigt sind, um den Jesus zu lieben, von dem sie ständig reden. Ein Brunch und eine gute Zeitung sind die bessere Alternative für einen Sonntagmorgen

Emotionale Gesundheit und geistliche Reife gehören untrennbar zusammen.

Es gab eine Zeit in meinem Leben, wo ich mir von Herzen wünschte, einer dieser Kirchenaussteiger zu sein. Der Schmerz einer massiven Krise bewirkte in mir einen Ausbruch von Wut und Scham. Ausgerechnet ich, der ich mich doch so sehr bemüht hatte, ein hingebungsvoller, liebevoller Christ zu sein, und dem es so ernst damit war, Gott zu dienen! Wieso hatten meine besten Bemühungen zu nichts anderem geführt als zu diesem Absturz?

Erst als der Schmerz offenbarte, was sich alles unter der Oberfläche des „guten Christen“ verbarg, wurde mir klar, dass ganze Bereiche meines Gefühlslebens noch nie von Gottes verändernder Kraft berührt worden waren. Ich war viel zu beschäftigt gewesen, als dass ich Zeit gefunden hätte für das, was ich damals eine „morbide Innenschau“ nannte. Ich war viel zu sehr davon in Anspruch genommen, für Gottes Sache zu arbeiten, als dass ich in meinem Unbewussten hätte „herumwühlen“ können. Doch jetzt zwang mich der Schmerz dazu, mir einzugestehen, wie oberflächlich Jesus bisher nur in mein Leben hineingekommen war. Und das, obwohl ich seit mehr als zwanzig Jahren Christ war.

Zu diesem Zeitpunkt entdeckte ich die radikale Wahrheit, die schließlich mein Leben, meine Ehe, mein Berufsleben und auch die Gemeinde, der ich diene, verändert hat. Es war eine einfache Wahrheit, doch aus irgendeinem Grund hatte ich sie übersehen. Und seltsamerweise hatte auch die große Mehrheit der evangelikalen Bewegung, zu der ich mich zählte, sie übersehen. Ich bin überzeugt, dass diese einfache, aber tiefe Wahrheit einen großen Unterschied für all diejenigen machen kann, die drauf und dran sind, dem christlichen Glauben den Rücken zu kehren. Es ist die einfache Wahrheit: Emotionale Gesundheit und geistliche Reife gehören untrennbar zusammen.

Eine emotional unterentwickelte Kindheit

Nur sehr, sehr wenige Menschen verlassen ihr Elternhaus in einem Zustand emotionaler Reife oder Gesundheit. Während der ersten Jahre meines Dienstes glaubte ich, dass die Macht Gottes jeden Fluch brechen könne. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, wie das Zuhause, das ich vor langer Zeit verlassen hatte, mich geprägt haben könnte. Sagt Paulus nicht, dass alles neu wird, wenn wir zum Glauben kommen (2. Korinther 5,17)? Erst die Krisen lehrten mich, dass ich diese alten Angelegenheiten verstehen musste, um sie schließlich hinter mir lassen zu können.

Meine Familie (Amerikaner mit italienischem Hintergrund) hatte, wie jede Familie, ihre Kratzer und Bruchstellen. Meine Eltern sind Kinder von Immigranten, und sie opferten sich auf, um ihren vier Kindern den amerikanischen Traum zu ermöglichen. Mein Vater, gelernter Bäcker, arbeitete unermüdlich. Sein größtes Ziel war es, seinen Kindern ein Studium zu ermöglichen, damit sie „etwas aus ihrem Leben machten“. Meine Mutter litt unter Depressionen und unter ihrem emotional unzugänglichen Ehemann. Sie war mit einem gewalttätigen Vater aufgewachsen und erstickte unter der Last, ihre vier Kinder allein aufzuziehen. Ihre Ehe wie auch ihre Kindheit waren geprägt von Traurigkeit und Einsamkeit.

Dieses Umfeld hinterließ bei mir und meinen Geschwistern tiefe Narben. Wir waren emotional unterentwickelt und hungerten nach Zuwendung und Aufmerksamkeit. Wir zogen alle von zu Hause aus, als wir aufs College gingen, und versuchten erfolglos, nicht zurückzublicken.

Von außen betrachtet schien unsere Familie in Ordnung. Zumindest schien sie besser zu sein als die der meisten meiner Freunde. Als ich sechzehn war, stürzte das Kartenhaus allerdings zusammen. Mein älterer Bruder brach ein unausgesprochenes Gesetz, indem er sein Studium abbrach. Noch schlimmer war, dass er sich einer umstrittenen Sekte anschloss. Während der folgenden zehn Jahre wurde er für tot erklärt. Meine Eltern schämten sich. Für sie brach eine Welt zusammen. Sie zogen sich von Verwandtschaft und Freunden zurück. Der Druck, den sein dramatischer Abgang ausgelöst hatte, offenbarte die tiefen Krater und Abgründe unseres Familienlebens. Wir brauchten fast zwei Jahrzehnte, um uns einigermaßen zu er holen.

Am tragischsten ist vermutlich, dass das geistliche Leben meines Vaters und die treue Mitarbeit in seiner Gemeinde (er war der Einzige in der Familie, der über einen Funken echten Glaubens verfügte) kaum Auswirkungen auf seine Ehe und seine Rolle als Vater hatten. Sein Verhalten als Vater, Ehemann und Angestellter spiegelte die Kultur seiner Herkunftsfamilie wieder und nicht die der neuen Familie Jesu.

Kein Zweifel, meine Familie unterscheidet sich von der Ihrigen. Eines habe ich allerdings in den zehn Jahren, die ich nun eng mit Familien arbeite, gelernt: Auch Ihre Familie leidet, genauso wie meine und jede andere Familie dieser Welt – und zwar unter den Folgen des Sündenfalls. Scham, Heimlichkeiten, Lügen, Betrug, zerbrochene Beziehungen, Enttäuschungen und das unerfüllte Verlangen nach bedingungsloser Liebe liegen unter der Fassade selbst der best angesehensten Familien.

Christ werden

Desillusioniert und unsicher über die Existenz Gottes hatte ich mit dreizehn der Kirche den Rücken gekehrt, weil ich überzeugt war, dass sie nichts mit dem „wahren Leben“ zu tun hatte. Durch ein Konzert in einer kleinen Kirche und einen Bibelkreis an der Universität kam ich später durch die Gnade Gottes zum Glauben. Ich war neunzehn. Die Unermesslichkeit der Liebe Gottes überwältigte mich.

Ich machte mich sofort mit aller Leidenschaft daran, diesen lebendigen Jesus, der sich mir offenbart hatte, kennenzulernen.

Siebzehn Jahre christlichen Lebens hatten die emotionalen Aspekte meines Menschseins größten teils unberührt gelassen.

Während der nächsten siebzehn Jahre stürzte ich mich kopfüber in diese neuentdeckte evangelikal-charismatische Tradition und sog jeden Tropfen Nachfolge und Spiritualität, den ich bekommen konnte, in mich auf. Ich betete und las in der Bibel. Ich verschlang christliche Bücher. Ich ging regelmäßig in Kleingruppen und zum Gottesdienst. Ich lernte geistliche -Übungen kennen. Begeistert setzte ich meine Gaben ein. Ich spendete freiherzig. Mit jedem, der es hören wollte, sprach ich über meinen Glauben.

Nach dem Studium unterrichtete ich für ein Jahr an einer Highschool Englisch und arbeitete danach drei Jahre für einen christlichen Studentenverband. Dies führte mich schließlich wieder ans theologische Seminar und schließlich zur Gründung einer multikulturellen Gemeinde in Queens, New York.

Während dieser ersten siebzehn Jahre in der hingebungsvollen Nachfolge Jesu blieben allerdings die emotionalen Aspekte meines Menschseins größtenteils unberührt. Über sie wurde nur selten gesprochen. Die Formulierung „emotionale Aspekte meines Menschseins“ schien eher ins Vokabular eines professionellen Therapeuten als in das der Kirche zu gehören.

Auf der Suche nach Rezepten für die Nachfolge

Gerade zu dem Zeitpunkt, als meine Aufgabe als Pfarrer sich voll entfaltete, fing meine Frau an sich zu beklagen. Ihrer Meinung nach war etwas nicht in Ordnung, nicht in Ordnung mit mir und nicht in Ordnung mit der Gemeinde. Mir war klar, dass sie wohl recht hatte. Entsprechend versuchte ich, in meiner Glaubenspraxis neue Schwerpunkte zu setzen. Mein innerer Dialog mit mir selbst klang ungefähr folgendermaßen:

„Mehr Bibelkreise, Pete. Das wird die Menschen verändern. Sie werden ihr Denken verändern. Das wird ihr Leben verändern.“

„Nein, viel wichtiger ist das Gemeindeleben. Sieh zu, dass die Leute sich noch besser kennenlernen, dass sich Kleingruppen bilden. Das ist die Lösung!“

„Pete, denk dran, für eine grundlegende Veränderung ist die Kraft des Geistes nötig. Und die erfährt man nur durch Gebet. Bete mehr. Gott handelt nicht, solange wir nicht beten.“

„Genug jetzt, Pete. Die Menschen verstehen nicht richtig, was es mit der Gnade Gottes auf sich hat. Hämmere es ihnen ein, und sie werden sich verändern!“

All diese Ansätze enthalten ein Quäntchen biblischer Wahrheit. Ich glaube, dass jeder von ihnen auf unserem geistlichen Weg und bei unserer geistlichen Entwicklung seine Berechtigung hat. Aber: Sie veränderten nichts grundlegend. Es fehlte etwas.

Die traurige Wahrheit ist die: Die Spiritualität, die viele der gängigen Jüngerschaftsmodelle prägt, leistet vor allem eins – sie verstärkt die Schutzschicht gegen einen emotionalen Reifungsprozess noch um eine weitere Lage. Die Leute machen in bestimmten Bereichen ihres Lebens echte und hilfreiche geistliche Erfahrungen – beispielsweise beim Lobpreis, im Gebet, beim Bibelstudium und in der Gemeinschaft –, und darum glauben sie fälschlicherweise, auf dem richtigen Weg zu sein. Und das selbst dann, wenn ihr Beziehungs leben und ihr Innenleben nicht in Ordnung sind. Dieser offensichtliche „Fortschritt“ gibt ihnen eine geistliche Begründung dafür, sich nicht weiter mit der harten Arbeit ihrer persönlichen Reife zu beschäftigen.

Sie leben in einer Selbsttäuschung.

Ich weiß es. Ich habe siebzehn Jahre meines Christseins so gelebt.

Die meisten von uns werden in einem ehrlichen Moment zugeben, dass es unterhalb unserer alltäglichen Wahrnehmung einen Bereich von Tiefenschichten gibt. Das ist wie bei einem Eisberg: Nur etwa zehn Prozent eines Eisbergs sind sichtbar. Diese zehn Prozent repräsentieren die Veränderungen, die auch für andere erkennbar sind. Wir werden zu netteren Menschen, verhalten uns respektvoller. Wir gehen zum Gottesdienst und beteiligen uns am Gemeindeleben. Wir fangen an zu beten und mit anderen über den Glauben zu sprechen.

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Doch die Wurzeln unseres Wesens bleiben unberührt und unverändert.

Moderne Jüngerschaftskurse berühren einen Teil der 90 Prozent, die unter der Oberfläche liegen. Das Problem ist aber, dass der größte Teil (unterhalb der gestrichelten Linie) unberührt bleibt von Jesus, solange man sich nicht ernsthaft mit dem beschäftigt, was ich als „emotional heilsame Spiritualität“ bezeichne.

Wenn der Schmerz Aufmerksamkeit fordert

Drei Erkenntnisse zwangen mich schließlich dazu, mich zu fragen, welche Bedeutung emotionale Reife für das Wachsen meines Glaubens hatte.

Als Erstes wurde mir klar, dass ich nicht die Freude oder Zufriedenheit erlebte, die uns die Bibel verspricht. Ich war unglücklich, frustriert, überarbeitet. Gott hatte mir zu Beginn meines Lebens mit Christus versprochen: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“ (Matthäus 11,30; L). Eine Einladung zu einem befreiten Leben in Fülle. Doch ich fühlte nichts davon.

Die Wirklichkeit sah so aus, dass ich mich nach vielen Jahren als aktiver Christ ausgelaugt fühlte und dringend eine Auszeit brauchte. Ich lebte mein Leben mehr als Reaktion auf das, was andere Leute taten oder vielleicht tun würden oder was sie von mir dachten oder möglicherweise denken könnten. Vom Kopf her war mir klar, dass wir leben, um Gott zu gefallen. So zu leben, war etwas ganz anderes. Mein Joch war eine schwere Last.

Zweitens war ich wütend, verbittert und depressiv. Fünf Jahre lang hatte ich versucht, die Arbeit von zwei oder drei Leuten zu machen. Als mein Mitarbeiter zusammen mit zweihundert anderen unsere Gemeinde verließ, um seine eigene Gemeinde zu gründen, stellte ich fest, dass ich ihn dafür hasste. Erfolglos versuchte ich ihm zu vergeben. Ich durchlebte die zunehmende Anspannung eines Doppellebens – am Sonntag predigte ich Liebe und Vergebung, und am Montag, wenn ich allein unterwegs war, fluchte ich. Die Kluft zwischen meinem Glauben und dem, was ich täglich lebte, machte sich mit erschreckender Deutlichkeit bemerkbar.

Und drittens war Geri einsam und hatte es satt, als alleinerziehende Mutter unserer vier Töchter zu fungieren. Sie erwartete mehr von unserer Ehe und war schließlich frustriert genug, um mich zur Rede zu stellen. Sie war endlich an einem Punkt angelangt, an dem sie meine Entschuldigungen und Ausweichmanöver nicht mehr akzeptierte. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.

Eines Abends kam sie ins Zimmer und sagte mit ruhiger Stimme: „Pete, es ginge mir besser, wenn ich allein wäre, als weiterhin mit dir zusammen zu sein. Ich steige aus dieser Achterbahn aus. Ich liebe dich, aber ich weigere mich, weiter so zu leben. Ich habe gewartet … ich habe versucht mit dir zu reden. Du hörst nicht zu. Ich kann dich nicht verändern. Das musst du selbst tun. Aber ich will etwas aus meinem Leben machen.“

Sie war entschlossen: „Und übrigens, was die Gemeinde angeht, in der du Pastor bist – ich steige da aus. Es lohnt sich nicht, einer Leitung wie deiner zu folgen.“

Für einen kurzen Moment verstand ich, weshalb Menschen jemanden umbringen, den sie lieben. Sie hatte meine Nacktheit offenbart. Ein Teil von mir wollte sie erwürgen. Stärker war jedoch das Schamgefühl. Es war für mein Ego kaum zu ertragen.

Trotzdem war dies wohl das Liebevollste, was Geri während unserer gesamten Ehe je für mich getan hat. Obwohl sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Worte fassen konnte, hatte sie etwas Wichtiges erkannt: Emotionale Gesundheit und geistliche Reife gehören zusammen.

Obwohl ich Jesus mit ehrlichem Herzen liebte und viele theologische Wahrheiten glaubte, war ich emotional ein Kleinkind und nicht bereit, mich meiner Unreife zu stellen.

„Pete, ich weigere mich, so mit dir weiter- zuleben.“ Diese Worte waren das Liebevollste, was meine Frau je für mich getan hat.

Geris Austritt aus der Gemeinde versetzte mir den nötigen Stoß, um auf den Teil meines Eisbergs zu blicken, der unter der Wasseroberfläche lag. In Tiefen, die bis zu diesem Zeitpunkt so erschreckend waren, dass ich sie nicht hatte betrachten wollen. Schmerz hat die erstaunliche Eigenschaft, uns für neue Wahrheiten zu öffnen und uns in Bewegung zu setzen. Ich erkannte schließlich die schmerzhafte Wahrheit, dass große Bereiche meines Lebens (oder Eisbergs, wenn Ihnen das besser gefällt) nicht von Jesus berührt worden waren. All mein Bibelwissen, eine theologische Ausbildung, meine Erfahrungen und Fähigkeiten hatten nichts an dieser unangenehmen Wahrheit geändert. Ich lebte in einem Zustand, den ich heute als „emotional ungesunde Spiritualität“ bezeichne.

Die eigene Menschlichkeit respektieren

Gott schuf uns als ganzheitliche Menschen in seinem Ebenbild (1. Mose 1,27). Diese Ebenbildlichkeit schließt körperliche, geistliche, emotionale, intellektuelle und soziale Aspekte ein. Betrachten Sie folgende Grafik:

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Ignoriert man auch nur einen Aspekt unseres Mann- oder Frauseins in Gottes Ebenbild, dann hat dies immer zerstörerische Auswirkungen – auf unsere Beziehung zu Gott, zu anderen und zu uns selbst. Wenn man jemanden trifft, der beispielsweise geistig oder körperlich behindert ist, dann ist dieser geistige oder körperliche Mangel deutlich zu erkennen. Ein autistisches Kind, das stundenlang allein auf einem belebten Spielplatz steht, ohne zu anderen Kindern Kontakt aufzunehmen, fällt auf.

Eine emotionale Entwicklungsstörung ist zwar nicht sofort zu erkennen, wenn wir jemandem zum ersten Mal begegnen. Haben wir mit diesem Menschen aber über längere Zeit zu tun, wird dieser Zustand deutlich erkennbar.

Ich hatte auf meiner Suche nach Gott die „emotionale Komponente“ siebzehn Jahre lang ignoriert. Die Gemeinden und Werke, die mich geprägt hatten, verfügten in ihrer Vermittlung von geistlichem Leben nicht über die Sprache, Theologie oder Ausbildung, um mir hier zu helfen. Es spielte keine Rolle, wie viele Bücher ich las oder Seminare ich besuchte, die sich mit den anderen Aspekten beschäftigten – körperlich, sozial, intellektuell, geistlich. Ich würde ein emotionales Kleinkind bleiben, bis dieser Mangel aufgedeckt und durch Christus verändert werden würde. Das geistliche Fundament, auf dem ich mein Leben aufgebaut hatte (und das ich anderen vermittelt hatte), war eingebrochen. Ich konnte das vor den Menschen, die mir nahestanden, nicht mehr verbergen.

Mir war beigebracht worden, dass man sein Leben am besten bewältigt, wenn man sich erstens auf Fakten, dann auf den Glauben und ganz, ganz viel weiter hinten auch auf Gefühle gründet – und zwar in dieser Reihenfolge. Das führte dazu, dass beispielsweise Wut auf meinem Weg mit Gott einfach keine Rolle spielte. Im Grunde war sie gefährlich und musste unterdrückt werden. Die meisten Menschen schlucken ihren Ärger entweder hinunter, oder sie lassen ihn an anderen aus. Ich war der klassische „Hinunterschlucker“. Ich bat Gott, mir meine „schlechten“ Gefühle zu nehmen und mich Christus ähnlich zu machen.

Ich hatte nicht erwartet, dass Gott durch Gefühle wie Traurigkeit, Depression und Wut zu mir sprechen könnte.

Weil ich Gott nicht wirklich zuhörte und auch nicht auf das hörte, was in mir vorging, erkannte ich viele seiner Gaben nicht. Er wendete sich mir liebevoll zu und sprach zu mir in der Absicht, in mir eine Veränderung anzure- gen. Ich hörte einfach nicht hin. Ich hatte nicht erwartet, dass Gott durch Gefühle wie Traurigkeit, Depression und Wut zu mir sprechen könnte. Als ich schließlich den Zusammenhang zwischen emotionaler und geistlicher Gesundheit erkannte, begann für mich eine kopernikanische Umwälzung. Sie veränderte meinen persönlichen Weg mit Christus, meine Ehe, mein Vatersein und auch die Gemeinde, deren Pastor ich bin.

Leben im Sinne Gottes – ein wunderbares Leben

Ganz ehrlich: Die dann folgenden zwölf Jahre waren die besten in meinem Leben als Mensch, Ehemann, Vater, Christ und Pastor. 1 Mir ist klar geworden, dass wir die wunderbaren Verheißungen, die Gott uns gegeben hat – für unser Leben, unsere Gemeinden und Gemeinschaften – wirklich erleben dürfen, wenn wir uns der Aufgabe stellen und in unsere Frömmigkeit das Bemühen um emotionale Gesundheit einbeziehen. Gott wird etwas Schönes aus unserem Leben machen.

Der Apostel Paulus schrieb: „Was passiert, wenn wir wirklich und authentisch so leben, wie Gott es für uns im Sinn hat? Er wird Gaben in unserem Leben aufgehen lassen, so wie Früchte in einer Obstplantage wachsen“ (Galater 5,22; The Message). Am Beispiel von zwei Bibelfassungen möchte ich demonstrieren, wie Paulus die wunderbaren Früchte aus Galater 5,22-23 beschrieb. The Message ist eine Übertragung des neuen Testaments ins zeitgenössische Englisch von Eugene H. Peterson2:

Gott verspricht uns, dass unser Leben wunderbar sein wird, wenn wir so leben, wie er es vorgesehen hat (auch wenn es sich zu Beginn unnatürlich und schwer anfühlt).

Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, bevor Sie weiterlesen. Lesen Sie die obige Aufzählung langsam und wie ein Gebet. Stellen Sie sich die ehrliche Frage: „Inwieweit sind diese Früchte in meinem jetzigen Leben Wirklichkeit?“ Denken Sie darüber nach, wie Sie sich verhalten – zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Gemeinde. Erlauben Sie Gott, Sie in dem Stadium zu lieben, in dem Sie sich gerade befinden. Bitten Sie ihn, dass er in Ihnen wirkt, sodass Sie zu einem Menschen werden, wie er oben beschrieben wird.

Es ist tragisch zu sehen, wie wenige Menschen, die sich nach Gott sehnen, die Gottesdienste besuchen und treu in ihren Gemeinden mitarbeiten, die in der Bibel lesen, beten und Kleingruppen besuchen, tatsächlich dieses befreite, volle Leben erleben, das die Bibel beschreibt. Der Grund dafür liegt, meiner Meinung nach, in einer Spiritualität, die von der emotionalen Gesundheit abgekoppelt ist, einer Spiritualität, die zulässt, dass tiefe, unbewusste Bereiche unseres Lebens von Gott unberührt bleiben.

Ein anderer Weg

Ich bin überzeugt, dass die Mauern, gegen die wir auf unserer Reise mit Gott laufen, seine Geschenke sind.

Ich bin allerdings auch der Ansicht, dass die Mauern, gegen die wir auf unserer Reise mit Gott laufen, seine Geschenke sind. Gott will nicht, dass wir zu Kirchenaussteigern werden. Er verändert und erweitert unser Verständnis dafür, was es heißt, im 21. Jahrhundert Jesus nachzufolgen. Und er tut dies auf radikalere Weise, als wir es uns je erträumen könnten. Damit durch Jesus Christus tiefe erfahrbare Veränderungen in uns stattfinden können, nimmt er uns – genau wie Abraham – mit auf eine Reise mit vielen Hindernissen und eigenartigen Wendungen.

Die traurige Wahrheit ist: Meistens bewegen wir uns erst dann vorwärts, wenn der Schmerz des Verharrens unerträglich wird.

Wir können uns nicht verändern – oder besser gesagt, wir können Gott nicht bitten, uns zu verändern –, solange wir uns nicht unseres Zustands bewusst sind und die Wahrheit nicht erkennen.

Im folgenden Kapitel werden wir die zehn charakteristischen Symptome einer emotional ungesunden Spiritualität genauer untersuchen. So können wir anschließend die Veränderungen einleiten, die Gott für uns vorgesehen hat.