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Horst Schoch

Das Geheimnis des Himmels

Historischer Roman

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Für Friederike

© 2013 Brunnen Verlag Gießen

Inhalt

1527

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Zur Geschichte einer Erfindung

Personen des Romans

Historische Personen

Fiktive Personen

1527

Eine kleine Universitätsstadt
an der Elbe zwischen Magdeburg
und Leipzig

1

Jäh durchbrach das Zerbersten der Scheibe die unberührte Stille der Nacht.

Magister Leonhard Bernhardi zuckte erschrocken zusammen. Aber seine Erstarrung währte nur kurz, schnell raffte er die vor ihm auf einem Schreibpult liegenden Papiere zusammen und suchte Deckung hinter einer breiten steinernen Säule.

Hatte das ihm gegolten?

Im Schreibsaal der Universität war es wieder still geworden, nur das Flackern des Kerzenlichtes erzeugte bewegte Schatten an den Wänden und am Boden.

Von draußen drangen nun durch die zerborstene Scheibe die Unbilden des Wetters in den langen Saal. Die frische Luft brachte die Flamme der Kerze nach kurzen unruhigen Zuckungen zum Erlöschen. Nur noch der heulende Wind vermischt mit prasselndem Regen war zu hören.

Bernhardi beruhigte sich langsam und war bald schon wieder in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Seine rechte Hand ruhte auf dem Knauf des Langdolches, den er, wie es beim Lehr-personal üblich war, immer bei sich trug.

Er wartete.

Als er außer dem windgepeitschten Regen nichts vernahm, versuchte er vorsichtig, von seinem Versteck aus den Saal zu überblicken. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Allein der Vollmond warf etwas Licht in den Raum.

Nichts geschah.

Trotzdem hielt Bernhardi es für ratsam, den Schreibsaal schnellstmöglich zu verlassen. Er schätzte den Weg bis zur Tür ab, den er ohne weitere Deckung durchqueren musste. Dann schlich er so vorsichtig und leise, wie er nur konnte, zur schweren Eichentür und drückte den mächtigen Riegel herunter. Mit leisem Knarren gab die Tür den Weg frei, aber Bernhardi glaubte, sich die Ohren zuhalten zu müssen. Unbehelligt trat er in den Vorraum.

Gerade hatte er sich etwas beruhigt, da begann sein Herz erneut wie wild zu pochen. Denn nun hörte er in der Ferne leise Schritte, die sich auf ihn zu bewegten.

Bernhardi fühlte sich mit seinen fünfzig Jahren eigentlich zu alt für derartige Abenteuer, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Er überlegte nur kurz, dann zog er seinen Langdolch und suchte hinter einem mächtigen Regal Schutz.

Für einen Einbrecher verhält sich unser Gast aber sehr ungeschickt, dachte Bernhardi noch, als die Schritte plötzlich laut wurden und die Tür auf der anderen Seite des Vorraumes polternd aufgestoßen wurde. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass sein Diener, Johannes Treber – von allen Hannes genannt – mit einer Fackel in der Hand den Raum betreten hatte.

Bernhardi verstaute seinen Dolch wieder, trat hinter dem Regal hervor und ging Hannes entgegen. Dieser schien über den komischen Aufzug seines Herrn nicht einmal verwundert. Der Magister konnte sogar wieder schmunzeln. Gewöhnlich bedeutete das Auftauchen seines Dieners, dass seine Herrin, wie Bernhardi liebevoll seine Gattin Elisabeth nannte, eine klare Auskunft über sein Verbleiben erwartete. Und so kam es auch.

„Einen gesegneten Abend, Meister!“ Hannes trat auf Bernhardi zu.

„Guten Abend, Hannes. Na, mit welchen Befehlen hat die Meisterin dich zu mir gesandt?“

Hannes war zwar geistig nicht der Regsamste, dafür aber treu und loyal. Nach so vielen Dienstjahren bei den Bernhardis verstand er die eingeschliffenen Sprachspiele der gebildeten Familie und deren unterschwellige Neckereien. Manchmal gelang es ihm sogar, ein wenig auf dieser Ebene mitzuspielen, nicht ohne gehörigen Respekt vor seinem Herrn.

„Die Meisterin lässt anfragen, ob mit Eurem Erscheinen zu Hause noch zu rechnen ist, denn es ist schon recht spät. Sie lässt ausrichten, dass sie Euch in einer wichtigen politischen Angelegenheit zu sprechen wünscht. Sollte eine schleunigste Rückkehr ausgeschlossen sein, würde sie die Audienz auf morgen verlegen … Allerdings hättet Ihr Euch dann ihrer knappen Zeit zu fügen!“

Meister Bernhardi schmunzelte wieder. Das war Elisabeth, seine kluge Frau. Sie wusste genau, wie sie ihn ansprechen musste, damit er wieder ganz von ihr eingenommen wurde. Mit einer gewählten Sprache hatte sie ohnehin keine Probleme, da sie eine intensive Ausbildung in einer bedeutenden Klosterschule absolviert hatte. Wenn sie es arg trieb, konnte sie ihm sogar eine Botschaft in Latein zukommen lassen.

„Danke, Hannes, für deinen Botendienst. Sag deiner Herrin, dass ich nur noch meine Papiere ordne und in kürzester Zeit zu Diensten sein werde!“

Auf dem Gesicht von Hannes leuchtete es kurz auf. Er würde den Spaß mitmachen und diese Botschaft des Meisters gleich mit den richtigen Worten überbringen. Und so wollte er gerade schnellen Schrittes den Rückzug antreten, als Bernhardi ihn zurückhielt.

„Einen Moment noch, Hannes.“

„Ja, Meister?“

„Sag, ist dir auf dem Weg hierhin nichts aufgefallen? Irgendwelche Personen, die sich hier herumtreiben oder andere ungewöhnliche Dinge?“

„Nein, Meister, warum fragt Ihr?“

„Ach, nichts weiter, ich meinte, heute Nacht hier noch jemanden zu vermuten. Aber das waren wohl der Wind und meine Einbildung.“

„So wird es sein, Meister.“ Damit trat Hannes endgültig den Rückweg an.

2

Als Hannes gegangen war, fragte sich Bernhardi, ob der Steinwurf ins Fenster etwas mit dem seltsamen Manuskript zu tun haben könnte, dessen Entzifferung er sich für diese Nacht vorgenommen hatte.

Seine Gedanken wanderten zurück. Zum wiederholten Mal vergegenwärtigte er sich, wie er an das seltsame und unverständliche Manuskript gelangt war … Die Anzahl der Studenten hatte sich in den letzten Jahren mehr als verzehnfacht und das hatte zu dem Entschluss geführt, die Räume der alten Universität endlich zu erweitern. Ein völliger Neubau wurde vom Herzog wegen notorischen Geldmangels zwar abgelehnt, aber schließlich wurde doch ein Anbau an die bestehenden Räumlichkeiten genehmigt. Bei den Vorbereitungen für Mauerdurchbrüche stellte sich jedoch heraus, dass die Wände der alten Gebäude durch Nässe stark in Mitleidenschaft gezogen waren. Baumeister Wilhelm weigerte sich daraufhin, seine Arbeiter der Gefahr auszusetzen, von herabstürzenden Bauteilen erschlagen zu werden.

So wurde erst einmal der alte Bestand erforscht und zum Teil abgetragen, damit die Fundamente verstärkt werden konnten. Bei diesen Arbeiten erwies es sich, dass Mauerreste eines älteren Fundamentes sichtbar wurden. Erst nachdem eifrig in den spärlichen Notizen der Universitäts- und Stadtchronik geforscht worden war, ergaben sich Hinweise darauf, dass an der Stelle, an der sich die Universität befand, zuvor ein altes Franziskanerkloster gestanden haben musste. Dieses war offenbar aufgegeben worden, da die Mönche in ein größeres und repräsentativeres Gebäude umgezogen waren.

Dieses Ereignis hätte fast zu einem neuen Armutsstreit innerhalb des Ordens geführt, denn die nach außen offen zur Schau gestellte Größe des neuen Konventes fand nicht die Zustimmung aller Insassen. Sie argumentierten mit einem gewissen Recht, dass ihr Ordensgründer, der heilige Franziskus, eigentlich das genaue Gegenteil angestrebt und gelebt hätte. Magister Bernhardi konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass man Ähnliches auch von der Prachtentfaltung des päpstlichen Hofes sagen konnte – verglichen mit der Besitzlosigkeit unseres Erlösers.

Nachdem das alte Franziskanerkloster längere Zeit unbenutzt dem Verfall preisgegeben war und sich keine neue Nutzung fand, überließ der Konvent das Gelände der Stadt. Diese wiederum köderte mit dem Grundstück den damaligen Herzog Arnulf, der nun sein Prestigeobjekt – eine Universitätsneugründung – mit erheblich weniger Mitteln in Angriff nehmen konnte. Kurzum, das alte Kloster wurde abgetragen.

Teile der Fundamente waren für den Universitätsneubau verwendet worden, andere Reste, wie die Klosterkirche, hatte man in den Neubau integriert, da eine vollständige Beseitigung viel zu kostspielig gewesen wäre.

Bei diesen Arbeiten zum Erweiterungsbau, die nun schon seit Monaten abgeschlossen waren, hatte man mehrere Reste der alten Einrichtung gefunden. Nicht nur Mauerreste der Fundamente, sondern auch Einrichtungsgegenstände, zum Teil in einem sehr verkommenen Zustand, wurden ans Tageslicht befördert.

Der amtierende Prior der Franziskaner, Johannes von Cleve, wurde eingeladen, sich diese Überreste abzuholen. Aber da er ein Aufflammen der unseligen Diskussion über die Armut unbedingt vermeiden wollte, beauftragte er Bruder Remigius, seinen Stellvertreter, die Sachen zu begutachten und zu entscheiden, was damit geschehen solle. Bei der Besichtigung war schnell klar geworden, dass sich die Mühe nicht lohnte: altes, zum größten Teil zerbrochenes Geschirr, einige Stoffreste, alles in erbarmungswürdigem Zustand. Nicht einmal der Inhalt einer Truhe weckte sein Interesse. Man fand vergilbte Papiere, ruinierte Fetzen von Pergamenten und einen verschlissenen Rosenkranz. Bruder Remigius, der einen Blick für Wertgegenstände hatte, erkannte schnell, dass hier keine Schätze zu finden waren.

Ein kleiner Stapel beschriebener Blätter befand sich zwar ungewöhnlicherweise in einem Leinensäckchen, aber die ersten Seiten enthielten, wie Bruder Remigius nur mühsam entziffern konnte, Aufzeichnungen über die Bestände der Klosterküche. Geringschätzig hatte er den kleinen Stoffbeutel zu den Dingen geworfen, die er für den Unrat bestimmt hatte. Die Papier- und Pergamentreste flogen in hohem Bogen hinterher.

Magister Bernhardi war seinerzeit bei dieser Visitation dabei gewesen. Der Rektor der Universität hatte ihn beauftragt, Bruder Remigius genau auf die Finger zu schauen, denn er traute diesen Klosterbrüdern nicht über den Weg, zumindest dann nicht, wenn es um materielle Dinge ging.

Als Remigius seine Begutachtung beendet hatte und den kleinen Haufen zur Beseitigung freigab – nicht ohne vorher umständlich die Aktion zu Protokoll zu bringen –, folgte eine förmliche Verabschiedung des Visitators durch Magister Bernhardi. Lange noch, nachdem Bruder Remigius gegangen war, hatte Bernhardi auf diesen kleinen Haufen entbehrlicher Gegenstände gestarrt.

Gedankenverloren hatte er seine Hand nach dem kleinen Stapel Papier ausgestreckt, der von der Feuchtigkeit zusammengeklumpt war, und dann das winzige Bündel an sich genommen. Er wusste selbst nicht genau, warum er so gehandelt hatte. Einerseits wäre es ihm als Magister ohnehin schwergefallen, an beschriebenem Papier vorbeizugehen, andererseits stieg in seinem Innersten eine noch ungeformte Ahnung auf, hier gäbe es vielleicht noch etwas an Erkenntnis zu gewinnen. Eine neue Aufgabe vielleicht, die ein bisschen von dem Alltag des Studienbetriebes ablenken könnte.

Seinen kleinen Fund hatte er in einer winzigen Truhe in seiner Bibliothek aufbewahrt. Auch seiner Frau Elisabeth und seinen fünf Töchtern hatte er zunächst nichts erzählt. Die wenigen Stunden, die er täglich mit seiner Familie zu Hause verbrachte, waren mit häuslichen Pflichten gefüllt. Daneben verbrachte er oft noch freie Zeit mit Studenten, denen er gegen eine kleine Gebühr zusätzlichen Unterricht anbot.

Und so hatte er für viele Monate seinen Fund regelrecht vergessen. Erst als er eines Tages zur Vorbereitung auf ein entlegenes philosophisches Thema seine Bibliothek durchstöberte, fand er das kleine Leinensäckchen wieder, das er hinter zwei dicken, schweinsledernen Folianten versteckt hatte. Also hatte er sich eines Tages entschlossen, den Fund in seine Studierstube in der Universität zu bringen und sich dort die Freiheit zu nehmen, den Dingen, die vor ihm lagen, auf den Grund zu gehen.

Auf die Frage, was er denn so Besonderes an der Universität erlebt habe, hatte er nach längerer Zeit auch Elisabeth von seiner kleinen Entdeckung berichtet. Diese wiederum quittierte seine ewige Suche nach Geheimnissen mit einem Lächeln. Männlicher Spieltrieb.

Und deswegen verbringe ich meine kostbare freie Zeit hier in der Universität, während zu Hause Frau und Kinder auf mich warten, seufzte Bernhardi leise in seinen dünnen Bart. Nach einigen Minuten folgte er seinem Diener nach Hause.

Der Regen durchnässte seinen Mantel und der Wind peitschte ihm unangenehm ins Gesicht. Die Gassen waren leer und der Magister drückte sich an den Hauswänden entlang, um wenigstens etwas Schutz vor dem Regen zu haben. Dabei bemerkte er nicht, dass in einem Torbogen eine dunkel gekleidete Gestalt kauerte.

Der Mann sprang ihn von der Seite regelrecht an. Normalerweise hätte Bernhardi die Situation als Überfall verstanden. So etwas passierte in den letzten Jahren immer häufiger, weil die Obrigkeit nicht in der Lage war, die Sicherheit im Inneren der Stadtmauern zu gewährleisten. Aber ihm fiel auf, dass die Gestalt schwer atmete und sich ungelenk bewegte. Also nichts, was auf einen ernst zu nehmenden Überfall hindeutete. Das Gesicht des Unbekannten war von einer Kapuze verhüllt.

„Verzeiht meinen Überfall!“, keuchte die Gestalt.

„Was wollt Ihr von mir?“, entgegnete Bernhardi kühl. „Wieso schleicht Ihr Euch wie ein Dieb in der Nacht an mich heran?“

Der Fremde konnte aus Atemnot nicht sofort antworten. Er hatte den Mantel des Magisters, an den er sich zunächst geklammert hatte, als wollte er seine Beute nicht mehr hergeben, inzwischen wieder losgelassen.

„Verzeiht, ich sah keine andere Möglichkeit, Euch zu treffen.“

„Ihr kennt mich?“

„Ja, und es spielt jetzt keine Rolle, woher und warum. Ich muss Euch etwas mitteilen!“

„Für eine Mitteilung habt Ihr Euch aber eine ungewöhnliche Stunde und einen noch ungewöhnlicheren Ort ausgesucht. Sei’s drum: Wenn Ihr mir etwas zu sagen habt, so beeilt Euch, ich werde erwartet. Und wenn es noch lange dauert, kann ich gleich in der Elbe baden gehen, so nass bin ich bereits.“

„Ich weiß, dass Ihr das Manuskript habt!“ Seine Stimme zitterte, was nicht nur an dem anscheinend hohen Alter des Mannes lag.

„Wovon redet Ihr? Wenn Ihr mich kennt, wie Ihr behauptet, dann müsstet Ihr wissen, dass ich mit vielerlei Manuskripten zu tun habe!“

„Ihr wisst schon, welches Manuskript ich meine.“

„Ihr sprecht in Rätseln, und ich habe jetzt keine Zeit, Rätsel zu lösen.“

„Doch, die habt Ihr. Und die müsst Ihr euch nehmen, ich beschwöre Euch!“

„Sprecht weiter!“

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr es gefunden und an Euch genommen habt.“

„Was? Gerüchte!“

„Es handelt sich doch um ein Leinensäckchen mit einem Bündel Papiere darin, nicht wahr?“

„Hmm.“

„Und eingeschlagen waren diese Papiere in … wartet, ja! In alten Küchenrezepten. Stimmt’s?“

„Woher wisst Ihr …“

„Ich habe sie nie gesehen. Und ich war mir nicht einmal sicher, ob diese Dinge auch wirklich existierten. Aber seitdem ich erfahren habe, an was für einem Fund Ihr da arbeitet, ist mir alles klar geworden.“

Magister Bernhardi schluckte. Wodurch war bekannt geworden, dass er diese Papiere nicht dem Unrat übergeben hatte? Und dass er nun an deren Entzifferung arbeitete, oder besser gesagt, herumrätselte?

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprach der Fremde nun mit etwas ruhigerem Atem weiter.

„Ich kann Euch nicht mehr dazu sagen, bevor Ihr den Text entschlüsselt habt. Erst dann bin ich mir restlos sicher. Ihr werdet wieder von mir hören. Aber ich beschwöre Euch: Ihr müsst herausfinden, worum es sich dabei handelt. Und noch ein letztes: Seid auf der Hut! Wenn es sich um das Manuskript handelt, das ich meine, ist es gefährlich wie Gift.“

„Ich betreibe keine Giftmischerei!“

„Wenn Ihr Euch da nur nicht irrt!“

Magister Bernhardi hatte genug von dem Alten. „Habt Ihr mir noch etwas zu sagen?“, stieß er hervor.

„Nein, außer dass Ihr Euch vorsehen sollt. Und dass ich sehr hoffe, ihr mögt das Rätsel bald lösen.“

Als Bernhardi bemerkte, dass der Alte sich schnell entfernen wollte, war er es diesmal, der ihn zurückhielt. „Jetzt müsst Ihr mir aber auch eine Frage beantworten!“

„Fragt!“

„Seid Ihr es gewesen, der mich vorhin mit einem Steinwurf verletzen wollte?“

„Nicht verletzen, sondern aufmerksam machen. Und erreichen, dass Ihr herauskommt.“ Damit verschwand der Alte endgültig.

Die Nässe nicht bemerkend, starrte Bernhardi der Gestalt hinterher.

Nur noch wenige Schritte, dann betrat der Magister sein Haus. Nicht Hannes, sondern Elisabeth höchstpersönlich empfing ihn.

„Leonhard! Schön, dass du meinem Ruf folgen konntest!“

„Wenn schöne und kluge Frauen rufen, dann bedarf es schwerwiegender Gründe, nicht zu folgen. Und ich gestehe gerne, weit und breit keinen solchen Grund gefunden zu haben.“

„Alter Schmeichler, aber ich höre es gern. Wie du siehst, habe ich trotz meiner Vergangenheit noch nicht das Laster des Hochmuts abgelegt.“

Elisabeth spielte immer wieder gerne und nicht ohne eine gewisse Ironie auf ihre Vergangenheit an. Sie war als junges Mädchen nur knapp dem Schicksal entgangen, ihr Leben in einem Kloster verbringen zu müssen. In der kinderreichen Familie war es die einzige Möglichkeit gewesen, für sie eine lebenslange Versorgung zu erreichen. Im letzten Moment hatte sich ein Onkel für sie verwendet, der nicht ganz ohne Vermögen war und dem Pfaffenwesen äußerst kritisch gegenüberstand.

Zunächst hatte ihr Vater nur sehr widerstrebend eingewilligt, als er jedoch bemerkte, dass sein Bruder mit allen Kräften für das kleine Mädchen sorgte und sogar das immens teure Schulgeld für den Unterricht in einer der besten Adeligenschulen des Landes bezahlte, war sein Widerstand gänzlich dahingeschmolzen. Elisabeth hatte sich als äußerst kluges und wissbegieriges Kind erwiesen.

„Was ist geschehen?“, wandte Elisabeth sich verwundert an ihren Mann. „Du wirkst gehetzt. Hat Hannes dich aufgeschreckt? So eilig sollte er es doch nicht machen!“

„Aber nein, Liese, ich hatte vorhin nur eine seltsame Begegnung. Erst sah es nach einem Überfall aus, aber es war nur der Versuch eines alten, vermummten Mannes, der mich anscheinend warnen wollte. Und zwar im Zusammenhang mit meinem Fund. Ich solle unter allen Umständen den Inhalt der Papiere erforschen und mich gleichzeitig vor diesem Inhalt in Acht nehmen.“

„Hast du eine Ahnung, woher er davon weiß?“

„Nein, ich hatte ihn auch gefragt. Er fand es unerheblich. Ich allerdings nicht.“

„Dann ist damit zu rechnen, dass sich mindestens eine, wahrscheinlich sogar noch mehrere Personen für den Inhalt der Schriften interessieren!“

„Damit müssen wir rechnen. Und es macht den Umgang mit dem Fund nicht leichter.“

„Leo, ich mache mir Sorgen! Versprich mir, dass du äußerste Vorsicht walten lässt!“

„Liebe Elisabeth“, Bernhardi benutzte immer ihren kompletten Vornamen, wenn er feierlich wirken wollte, „ich verspreche es dir, gestehe aber auch, dass so ein Vorfall mich neugierig macht. Aber jetzt gestatte mir bitte, mich meiner nassen Kleidung zu entledigen. Heute hat es nämlich so geschüttet, dass man langsam über den Bau einer neuen Arche nachdenken müsste … Hoffentlich will der Herr uns nicht wieder einmal ersäufen, Gründe gäbe es genug dafür!“

„Leonhard!“

„Wie geht es den Kindern?“, fragte Bernhardi, als er in trockenen Sachen wieder bei seiner Frau erschien. Eine Sorgenfalte stand auf seiner Stirn.

„Bis auf Katharina, die ihren hartnäckigen Husten einfach nicht los wird, und Lenchen, um die ich mir große Sorgen mache, sind alle anderen wohlauf.“

Lenchen war das jüngste Kind und von Anfang an schwächlich und zart. Es war eine schwere Geburt gewesen, auch für die Mutter, die schon nicht mehr die Jüngste war. Bernhardi war damals, vor vier Jahren, so erschrocken gewesen über die Gefahr, nicht nur das Kind, sondern womöglich auch seine innig geliebte Elisabeth zu verlieren, dass er sich geschworen hatte, sie niemals wieder dieser Gefahr auszusetzen – mit allen Konsequenzen für ihr Eheleben. Aber Elisabeth sorgte trotzdem dafür, dass Leonhard nicht auf einmal wie ein Mönch leben musste.

Insgeheim hatte er immer gehofft, Elisabeth könne ihm vielleicht eines glücklichen Tages doch noch einen Sohn schenken. Aber dass ein solcher Wunsch fast dazu geführt hätte, dass er seine geliebte Frau verloren und dazu noch alleine vier oder fünf kleine Töchter großzuziehen hätte, das hatte in ihm eine Wunde ausgelöst, die nicht heilen wollte. Dabei war er auf seine Töchter sehr stolz und hatte eine Hochachtung vor dem weiblichen Geschlecht, die seinesgleichen suchte. Selbst die Anfeindungen und spöttischen Bemerkungen von Kollegen und Bekannten über seinen Frauenhaushalt hatten ihn nie aus der Ruhe gebracht.

„Hast du Dr. Martens konsultiert?“

„Ja, und er ist auch schnell hier gewesen. Aber auch er hat nur sorgenvoll geschaut und eine Arznei hiergelassen, ein stärkendes Tonicum, wie er sagte. Uns bleibt nur, zu beten und uns in das Schicksal zu fügen. Aber, und das ist die gute Nachricht, Lenchens Zustand ist besser, als es nach außen den Anschein hat.“

„So lasst uns hoffen. Schläft sie schon?“

„Ja, jetzt brauchst du nicht zu ihr. Und ich meine das nicht vorwurfsvoll, auch wenn du dich durchaus einmal zu früherer Stunde bei deinen Kindern einfinden könntest. Und natürlich auch bei mir!“ Der Schalk war bei Elisabeth wieder eingekehrt.

„Ich verspreche, nein, ich gelobe Besserung.“ Bernhardi verbeugte sich mit einer Demutsgeste. „Wolltest du mich wegen der Kinder sprechen oder …“ Bernhardi zögerte.

„Nein, nicht deswegen alleine. Der Grund ist ein anderer. Ich mache mir, gelinde gesagt, Sorgen.“

„Um wen oder was?“

„Um dich!“

Bernhardi schaute seiner Frau überrascht in die Augen. „Um mich? Warum das denn? Was besorgt dich denn?“

„Ich bin zwar nur eine Frau, aber dafür deine Frau. Und ich habe Augen im Kopf. Ich habe sehr wohl bemerkt, dass du in letzter Zeit etwas zu tragen hast, was dich mehr niederdrückt, als du zugeben willst. Auch wenn du dich hinter deinen Büchern verkriechst und mehr Zeit mit deinen Studenten und Kollegen verbringst als mit uns. Hat das eigentlich etwas mit deinem geheimnisvollen Fund zu tun?“

Wenn Bernhardi je geglaubt hätte, seiner Frau etwas vorspielen zu können, dann war dieser Glaube jetzt restlos zerstört. Vor dieser Instanz musste er kapitulieren. Zögernd versuchte er, sich zu rechtfertigen.

„Du hast recht, Liese, mich beschäftigt in der letzten Zeit vieles. Ich frage mich, ob und wie ich hier an der Universität weiter lehren kann oder will oder soll. Wir sind keine wirkliche Glaubens- und Lehrgemeinschaft mehr. Einzelne von uns profilieren sich auf Kosten der anderen. Vor den Studenten muss man sich jetzt auch mehr in Acht nehmen als früher. Wahrheit wird nicht mehr um ihrer selbst willen gesucht, sondern um des eigenen Vorteils willen. Oder, was noch viel schlimmer ist, da dies ja geradezu einen Verrat an dem darstellt, was wir gelobt haben: Statt der Wahrheit und der Mehrung der Erkenntnisse zu dienen, wird nach einer Erkenntnis gesucht, die vorher feststehende Meinungen bestärken soll. Doch damit führen wir unser eigenes Lehren ad absurdum. Wie sich das auf die Abwehr der neuen lutherischen Lehre auswirkt, kannst du dir vorstellen. Wir beschäftigen uns gar nicht mehr inhaltlich mit ihr. Wir zeigen ihren Irrtum nur noch anhand der päpstlichen Autorität oder mithilfe von Väterzitaten auf, anstatt Hand an die Wurzel zu legen und zu zeigen, worin sie irrt. Und außerdem könnten wir das auch kaum, da ja die Schriften dieses Luthers verboten sind und zuhauf ins Feuer wandern. Ich bin überzeugt, dass dies ein großer Fehler ist. Denn selbst wenn dieser Martin Luther einen Ketzerhut auf dem Kopf hat, wovon ich überzeugt bin, dann reicht es nicht aus, nur zu verbieten – nein, es muss verstanden werden, warum verboten wird. Gerade deshalb bedarf es einer gründlichen Erforschung, damit eine genauso gründliche Widerlegung erfolgen kann. Nichts dergleichen geschieht. Dabei bin ich vereidigt worden, um genau das zu tun.“

Bernhardi hatte selten eine so lange Rede außerhalb seiner Studentenschaft gehalten. Elisabeth konnte er mit seinen Sonntagsreden ohnehin nicht imponieren, deshalb unterließ er sie auch bei ihr. Aber eben hatte sie mit ihrer geschickten Dosierung aus Besorgnis und Anfrage alle Dämme geöffnet. Und so sprach Bernhardi noch weiter.

„Und die Sache mit meinem kleinen Fund. Das, was mir zu Anfang als nette Abwechslung in meinem Alltag erschienen ist, als kleine Knobelaufgabe, das ist mir jetzt auch zum Gegenstand meiner Ratlosigkeit geworden. Ich komme mit dieser unheimlichen Aneinanderreihung griechischer Buchstaben nicht weiter.“

Bernhardi schwieg abrupt.

Elisabeth wusste nur zu genau, wie schwer der Zwiespalt war, in dem ihr Mann sich befand. Auf keinen Fall konnte er einfach so weitermachen, sich nur auf seine Pflichten zurückziehen und möglichst viel an sich abprallen lassen. Nach einer Weile zog sie ihre rechte Augenbraue hoch. Bernhardi ahnte, dass Elisabeth eine vernünftige und hilfreiche Antwort geben würde, und fürchtete sich gleichzeitig davor.

„Was deine Stellung an der Universität betrifft, so solltest du dich nicht verstecken. Was du als falsch erkennst, wirst du auch ablehnen. Wenn du das ehrlich tust, wird auch der Respekt dir gegenüber steigen. Es kommt nicht darauf an, immer der beliebteste Magister zu sein, sondern der ehrlichste und gewissenhafteste. Sonst musst du dich umsehen und vielleicht eine andere Möglichkeit der Entfaltung suchen.“ Verschmitzt fügte sie noch hinzu: „Auch wenn du nicht mehr der Jüngste bist!“ Dann sprach sie leise weiter: „Der Herzog wird so schnell nicht auf deine Dienste verzichten können. Vielleicht erreichst du ja so etwas wie eine Stelle als Ratgeber am Hof, wer weiß? Es muss nur geschickt eingefädelt werden. Aber lote erst deine Freiheiten an der Universität aus.“

„Du hast sicher recht, aber alleine werde ich es auf Dauer nicht schaffen. Wie du weißt, Liese, haben sich die Zeiten an dieser Lehranstalt geändert. Aber versuchen will ich es. Hast du vielleicht auch einen klugen Rat bezüglich meines Fundes?“

Die letzte Frage war mit einem leicht ironischen Unterton ausgesprochen, was Elisabeth aber großzügig übersah.

„Mir ist da eine Idee gekommen, von der ich allerdings nicht weiß, ob sie glücklich ist. Erinnerst du dich, Leo, als ich dir von meiner Zeit im adligen Damenstift erzählte?“ Bernhardi nickte. „Einer unserer Lehrer war ein Dr. Samuel Praetorius. Er unterrichtete uns in Mathematik und Logik. Immer wenn wir über die Fallstricke des Rechnens stolperten, sah er uns so mitleidig an. Vermutlich dachte er, dass einige von uns besser in einem Haushalt aufgehoben wären, aber er versuchte immer wieder, unsere Stärken, die auch wir in der Logik hatten, zu fördern. Er schien also nicht dem Glauben anzuhängen, das Weib habe von Natur aus einen Mangel an Denkvermögen … womit er, unter uns gesagt, eine Ausnahme bildete. Doch ich schweife ab. Dieser Dr. Praetorius pflegte uns regelmäßig zu Beginn seiner Stunden mit Rätselaufgaben zu überraschen, wie er sagte, um unser Denken geschmeidig zu machen. Es waren viele lehrreiche Rätsel dabei. Einmal zeigte er uns, wie man mit einfachen Mitteln einen Text so verändern kann, dass er nur von denjenigen, die den rechten Schlüssel besitzen, gelesen werden kann. Das war eine sehr praktische Stunde! Einige meiner Mitschülerinnen fanden übrigens schnell heraus, dass sie auf diese Weise ihre Abenteuer einander unbehelligt mitteilen konnten, ohne dass es bemerkt wurde. Was mich aber wirklich verblüffte, war seine Demonstration der Verschlüsselung längerer Texte, auch wenn diese auf Latein verfasst worden waren.“

„Ihr Frauen wisst ohnehin immer alles auf seine Nützlichkeit hin zu untersuchen“, warf Bernhardi schmunzelnd ein. „Ich ahne, worauf du hinauswillst, Elisabeth … Lebt dieser Praetorius denn noch?“

„Das weiß ich leider nicht. Wenn, dann müsste er schon hochbetagt sein, an die achtzig Jahre dürfte er schon auf dieser Erden wandeln.“

„So bitte ich dich, nach … ja, wohin eigentlich, zu schreiben?“

„Damals wohnte er in Magdeburg, nicht weit von unserem Stift entfernt.“

„Aha. Wärest du denn so lieb, in Erfahrung zu bringen, ob Meister Praetorius noch unter den Lebenden weilt? Hoffen wir, dass er auf seine alten Tage nicht noch den Wanderstab in die Hand genommen hat.“

3

Der Tumult hinter den geschlossenen Türen war nicht zu überhören. Auf dem Gang, der zu den Sälen führte, in denen die Vorlesungen und Übungen abgehalten wurden, stutzte der Rektor der Universität, Magister Reinhardus. Plötzlich wurde dicht neben ihm eine Tür aufgerissen. Dr. Wenzel stürmte mit hochrotem Kopf heraus, dabei hätte er fast den völlig überraschten Rektor umgerannt. Aus der offen stehenden Tür drangen lebhaftes Stimmengewirr, einzelne Zwischenrufe und Gelächter. Es schien, als würde die Situation da drinnen eskalieren.

„Aber werter Herr Kollege, was ist denn geschehen? Ihr seid ja völlig außer Euch! Und was soll der Tumult hier bedeuten? Aufruhr?“

„Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Man macht sich über Aristoteles und die scholastischen Meister lustig! Während ich über Meister Gabriel Biel las und aus seinem Collectorium über die natürlichen Kräfte zum Guten dozierte, wagte man es, mir zu widersprechen! Gerade an der Stelle, wo erklärt wird, in welcher Weise der Wille frei ist, gute und verdienstliche Werke zu tun, die zur Seligkeit führen, eine Lehre, die mich immer mit Stolz erfüllt hat und die ich als Freiheit zur Suche nach dem Tun des Guten ausgelegt habe, gerade an dieser Stelle erschollen Zwischenrufe! Als ich denjenigen, der am lautesten dagegen protestierte, aufforderte, sich zu erkennen zu geben, standen gleich mehrere auf und schrien mich nieder!“

Dr. Wenzel war völlig außer Atem. Ob vor Wut oder wegen der Hitze des Gefechtes – das war für Reinhardus nicht zu erkennen.

„Dann ist es also wahr …“, entfuhr es dem Rektor.

„Ja, wir werden von den Lutherischen unterwandert. Und zwar nicht mehr im Stillen, sondern ganz offen. Das könnt Ihr doch nicht zulassen!“

„Das werde ich auch nicht zulassen. Ich wollte es nicht ernst nehmen, aber anscheinend war das ein Fehler.“

„Was gedenkt Ihr jetzt zu tun?“

„Jetzt ist schnelles Handeln geboten. Seid Ihr in der Lage, wieder in den Hörsaal zu gehen und die Aufrührer noch eine Zeit lang zu beschäftigen?“

Dr. Wenzel zögerte.

„Das soll ich mir weiter bieten lassen?“, fragte er, sich wieder stark verfärbend.

„Nur zum Schein. Ich werde unterdessen Hilfe von der herzoglichen Wache herbeiholen. Wie Ihr wisst, bin ich als Rektor dazu befugt. Sorgt nur dafür, dass kein Student so lange den Saal verlässt. Da Ihr wisst, wozu es dient, werdet Ihr die Situation leichter überstehen. Am besten, Ihr provoziert zurück. Je übler der Zustand im Saal, desto leichter wird sich meine Maßnahme rechtfertigen lassen.“

Nachdenklich nickte Wenzel und trat langsam den Weg zurück in den Hörsaal an, während Reinhardus, der kurzen Prozess zu machen gedachte, zur herzoglichen Wache eilte.

Der Lärm im Hörsaal hatte sich nicht gelegt. Als Dr. Wenzel ihn wieder betrat, wogte im Raum eine handfeste Diskussion. Es war ersichtlich, dass auch Anhänger der herkömmlichen Lehre, oder zumindest die, die sich keine Störung des Unterrichts gefallen lassen wollten, das Wort ergriffen hatten.

Alle akademische Tugend schien wie fortgeblasen zu sein, keiner hörte mehr auf die Argumente der anderen. Und selbst wenn noch einige dazu bereit gewesen wären – durch den ohrenbetäubenden Lärm war dies unmöglich. Da der Hörsaal zudem aus allen Nähten platzte, war die Verwirrung vollkommen. Als die Studenten bemerkten, dass ihr Professor wieder im Raume war, ebbte der Lärm für eine kurze Zeit ab. Man hatte nicht mit seiner Rückkehr gerechnet.

Wenzel sprach zunächst kein Wort. Durch dieses geschickte Auftreten – oder war es einfach Hilflosigkeit? – erlangte er zumindest für eine kurze Zeit wieder die Aufmerksamkeit der Anwesenden.

„Meine Herren! Ich verwahre mich gegen diese Störung meines Unterrichts. Wer etwas gegen meinen Vortrag einzuwenden hat, wird bei den pflichtgemäßen Disputationsübungen ausreichend Gelegenheit dazu bekommen, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

Mit diesen Worten versuchte Wenzel Souveränität auszustrahlen. Vergeblich.

„Alles Lüge!“ Die Stimmen erhoben sich wieder. Ein großgewachsener Student mit Dolch und Federhut ergriff das Wort. „Bei den Disputationen bekommen wir Eure, jawohl, Eure Propositionen vorgegeben und müssen diese verteidigen. Das Ergebnis steht bereits fest. Wir selbst könnten Thesenreihen aufstellen und gegen Eure verstaubten Ansichten verteidigen, aber das werdet Ihr niemals zulassen!“

„Meine Kollegen und ich haben Eure Fähigkeit zu gelehrter Disputation zu beurteilen und nicht Eure Meinungen!“, schrie Wenzel zurück.

Als seine Anhänger unter den Studenten merkten, dass ihr Professor auf dem besten Wege war, sich der Lächerlichkeit preiszugeben, ergriffen sie die Initiative: „Lernt doch erst einmal den gebührenden Respekt vor der Autorität – und dann, wie man im Disputationsstuhl ficht. Nicht wer am lautesten schreit, hat recht!“

Zustimmendes Gemurmel der bisher schweigenden Mehrheit machte sich breit. Die Aufrührer waren erkennbar in der Minderheit, machten ihre quantitative Unterlegenheit jedoch durch Lautstärke und Säbelrasseln wieder wett.

„Wer seid ihr denn, uns zu belehren?“ Wieder hatte der hagere, hoch aufgeschossene junge Mann das Wort ergriffen. „Weder mit den Waffen des Geistes noch mit den anderen“, bei diesen Worten berührte er wie zufällig den Kurzdolch an seiner Seite, „noch mit den anderen, sage ich, seid ihr uns gewachsen.“

„Das wollen wir doch mal sehen!“, scholl es zurück.

Dr. Wenzel wünschte sich sehnlichst, aus dieser misslichen Lage befreit zu werden. Wo blieb nur die herzogliche Wache? Seine Sorge war indes unbegründet, denn in dem allgemeinen Tumult hatten es die Stadtsoldaten geschafft, unbemerkt in den Hörsaal zu gelangen und die Türen zu verschließen. Dr. Reinhardus stand auf einmal neben dem Katheder, umringt von Uniformierten. Als die verfeindeten Gruppen bemerkten, dass sie einer Macht höherer Ordnung gegenüberstanden, wurde es schlagartig still im Saal.

„Kraft meines Amtes als Rektor dieser Universität beende ich diesen Aufruhr“, begann Reinhardus seine Rede. „Ihr werdet nun geschlossen diesen Saal hier verlassen und Euch in der Amtsstube des Bürgermeisters einfinden. Um Euch diesen Schritt zu erleichtern, stehen draußen weitere Wachen, die Euch begleiten werden. Flucht wird als Verrat ausgelegt! Dort werdet Ihr Euch einzeln für Euer Verhalten rechtfertigen. Jede weitere Störung der Ordnung wird hart geahndet und gegebenenfalls zum Verweis von unserer hochgelobten Universität führen …“

Die Rede versetzte die Studenten augenblicklich in einen Schockzustand. Die meisten waren der Ansicht, dass diese Reaktion von Reinhardus völlig überzogen war. Selbst wenn man die Vorladung unbeschadet überstand – welcher Eindruck musste entstehen, wenn man in aller Öffentlichkeit unter strengster Bewachung über den großen Rathausplatz zur Bürgermeisterei geführt würde? Da war man dem Spott der Bevölkerung ausgesetzt, die sich nur zu gern für die nächtlichen Ruhestörungen und Trinkgelage der Studenten revanchieren würde. Ganz zu schweigen von der Sorge, ob diese aufsehenerregende Aktion den Eltern verborgen bleiben würde – die immerhin das übermütige Treiben finanzierten.

Inzwischen hatten sich weitere Lehrkräfte der philosophischen und theologischen Fakultät eingefunden. Der Aufruhr und seine obrigkeitliche Bekämpfung waren nicht unbemerkt geblieben. Auch Magister Bernhardi wurde Augenzeuge der Aktion. Er schaffte es, an den Rektor heranzutreten.

„Aber lieber Dr. Reinhardus, wozu dieser Aufwand? Hier war doch wohl kein Umsturz im Gange?“, fragte er den mit versteinerter Miene dastehenden Rektor.

„Doch, genau das war es! Bin ich denn der Einzige, der durchschaut, was sich hier abspielt? Schon lange hatte ich den Verdacht der Unterwanderung unserer Einrichtung – jetzt ist es offenbar geworden. Das werde ich nicht dulden!“

„Aber seid Ihr nicht der Ansicht, dass Ihr mit dieser harten Reaktion Öl ins Feuer gießt?“

„Lieber Dr. Bernhardi“, der Rektor sprach mit ruhiger, fester Stimme, „Ihr habt doch früher einige Semester Medizin studiert, bevor Ihr in die philosophische Fakultät gewechselt seid. Habt Ihr da nicht gelernt, dass eine Krankheit manchmal erst voll zum Ausbruch kommen muss, bevor die Behandlung mit handfesten Arzneien richtig beginnen kann? Seht Ihr, genau das habe ich getan.“

„Verzeiht meine Einschätzung der Lage nur aus dem Augenschein“, gab Bernhardi zurück. Reinhardus schien seine feine Ironie nicht bemerkt zu haben. „Seid Ihr Euch aber der herzoglichen Unterstützung für Euer wohlüberlegtes Handeln sicher?“

„Genau darüber will ich mit allen Kollegen gleich sprechen. Bitte teilt dem Lehrkollegium mit, dass ich für heute Nachmittag um vier eine Versammlung aller Professoren und Lehrkräfte dieser Universität ins Rektorat einberufe. Alle zu dieser Zeit liegenden Veranstaltungen werden abgesetzt. Ich werde dann eine Erklärung vorlegen. Und noch etwas. Wenn Ihr dieses ausgerichtet habt, wäret Ihr dann so freundlich, mit Dr. Wenzel und mir eine Inspektion des Hörsaales vorzunehmen?“

Magister Bernhardi blieb keine Wahl. Also machte er sich auf die Suche nach den anderen Kollegen, um ihnen die Anordnung ihres Rektors weiterzugeben.

Eine Viertelstunde später kehrte Bernhardi mit Dr. Wenzel in den leeren Hörsaal zurück.

„Wir werden jetzt untersuchen, was sich unter den Bänken, Tischen und Ablagen befindet. Ich wette, wir haben am Ende genug Beweise für die lutherische Unterwanderung und für einen geplanten Aufruhr. Also los, meine Herren!“ Bernhardi ließ keinen Zweifel daran, dass er das Heft des Handelns selbst in die Hand nehmen wollte.

Reihe für Reihe gingen sie die Bänke durch, allerdings fand sich erstaunlich wenig verwendbares Material. Blätter mit Kritzeleien der Studenten, mit lateinisch formulierten Stoßseufzern über den Unterricht, satirische Zeichnungen, aber kein Hinweis auf einen Unterwanderungsversuch der Studenten. Plötzlich bemerkte Dr. Wenzel, dass unter einer Bank der Rand eines kleines Büchleins hervorschaute. Neugierig zog er es heraus und erbleichte.

„Was ist, mein lieber Wenzel?“, fragte Bernhardi besorgt.

„Ich habe hier etwas gefunden … Eure Magnifizenz, Ihr hattet mit Eurer Maßnahme völlig recht“, hauchte der blass gewordene Wenzel und beachtete Bernhardi gar nicht.

„Davon könnt Ihr wohl ausgehen. Zeigt her!“, gab Reinhardus kühl zurück.

Wenzel reichte ihm das kleine gebundene Bändchen. Der Titel lautete: Von der Freyheyt eyniß Christenmenschen. Martinus Luther, Vittembergae, Anno Domini 1520.

„Na also. Ich habe es doch geahnt.“ Der Triumph in Reinhardus’ Stimme war nicht zu überhören. „Ich werde jetzt auf das Bürgermeisteramt eilen und der Examination der Delinquenten beiwohnen. Mal sehen, wie sie auf diesen Fund reagieren. Ach, Magister Bernhardi, wäret Ihr so freundlich, dieses Exemplar hier zu vernichten? Nein, wartet, vielleicht wird dieses Beweisstück noch gebraucht. Vorerst reicht es aber, wenn Ihr den Fund mit mir bezeugt. Würdet Ihr so freundlich sein, dieses giftige Buch erst einmal in Verwahrung zu nehmen? Ach, und Dr. Wenzel, ich bitte Euch, mich jetzt zu begleiten, um bei der amtlichen Untersuchung die Wortführer zu identifizieren.“

Eiligen Schrittes entfernte sich Reinhardus. Mit etwas Abstand und durchaus zögerlich verließ auch Dr. Wenzel den Saal.

Schon wieder ist von Gift die Rede, dachte Bernhardi und erinnerte sich an die Worte des Alten bei seinem nächtlichen Überfall. Ihm war gar nicht wohl bei dem Gedanken, auf einmal Teil des Vollstreckungsapparates zu sein, den Reinhardus da in Gang gesetzt hatte.

4

Das Rektorat füllte sich langsam. Die Nachricht von den Vorkommnissen im Hörsaal hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die sich versammelnde Professorenschaft ahnte, dass ihr Rektor die Pflöcke für die künftige Politik an ihrer Bildungseinrichtung tiefer einzuschlagen gedachte, als bisher geschehen.

Magister Bernhardi hatte sein Kommen so weit herausgezögert, wie es ihm nur möglich war. Er traf als einer der letzten ein, nur Magister Caspar Heinrich, ein unmittelbarer Fachkollege von Leonhard Bernhardi, fehlte. Er hatte sich wegen Unpässlichkeit entschuldigen lassen. Angesichts seines Alters, er übertraf alle anderen an Lebensjahren, wurde ihm dies nachgesehen.

Zu guter Letzt betrat Reinhardus den Raum, nicht ohne sich zuvor durch die offene Tür von der Anwesenheit seines Kollegiums überzeugt zu haben. Würdevoll trat er in das Rektorat und schloss geräuschvoll die Tür hinter sich.

Bernhardi gesellte sich zu Magister Einhard Auerbach, einem langjährigen Kollegen von der philosophischen Fakultät, der die wichtigen Fachbereiche Mathematik und Astronomie vertrat. Mit ihm verstand sich Bernhardi noch am besten von allen Kollegen. Auerbach war ein freundlicher Mensch, für jedes Gespräch offen, zeigte allerdings manchmal einen Hang zu magischen Praktiken – jedenfalls bezeichnete Bernhardi es so. Genauer gesagt war Auerbach ein Anhänger der Astrologie und der Alchemie. In seiner freien Zeit experimentierte der Junggeselle gern in seiner Werkstatt herum. Beide Männer liebten einen ironisch-heiteren Gedankenaustausch, der ungefähr einmal im Monat zusammen mit weiteren Gelehrten im Wirtshaus oder auch zu Hause gepflegt wurde. Bernhardi nickte Auerbach freundlich zu, aber da begann auch schon die Ansprache des Rektors.

„Meine sehr verehrten Kollegen! Mit Bestürzung haben wir alle von dem Vorfall heute Morgen bei der Vorlesung unseres geschätzten Kollegen Dr. Wenzel erfahren. Wie bekannt sein dürfte, hat unser großer Gelehrter Erasmus gründlich und grundsätzlich der lutherischen Häresie widersprochen, und damit ist die Behauptung eines unfreien Willens hinreichend widerlegt. Das steht auch jetzt nicht zur Diskussion. Viel wichtiger ist die Frage, wie wir mit dieser und mit künftigen Formen der versuchten Unterwanderung unserer hochgelobten Universität umzugehen haben. Ich als der verantwortliche Rektor habe mich schon seit Längerem mit den Beratern unseres gütigen Herzogs Georg ins Vernehmen gesetzt. In einer zunächst geheimen Order hat unser Fürst angeordnet, jegliche Versuche, die lutherische Lehre an unserer Universität eindringen zu lassen, als politischen Aufruhr zu beurteilen und mit der Verbreitung von Lehren, die gegen unsere Mutter Kirche gerichtet sind, gleichzustellen. Um die Reinheit des Glaubens und der Lehre zu bewahren, wird der weltliche Arm beauftragt, jeden Anflug von Infiltration oder Irrlehre auch in dieser Bildungseinrichtung abzuwehren. Daraufhin wurde mir die Anweisung und Erlaubnis gegeben, uneingeschränkt die Unterstützung des weltlichen Armes in Anspruch zu nehmen, um diese teuflischen Angriffe auf unseren Glauben und die Lehre zu verhindern. Alle Irrlehrer sollen mithilfe dieser Unterstützung angezeigt und dem weltlichen und auch dem geistlichen Gericht zugeführt werden.“

Nach diesem vorläufigen Höhepunkt seiner Rede machte er eine kurze Pause.

Auerbach knuffte Bernhardi in den Arm. „Aha, der Bursche hat also hinterrücks die polizeiliche Gewalt auf seine Seite gebracht!“

„Leise! Und er hat das Kollegium nicht darüber in Kenntnis gesetzt!“, flüsterte Bernhardi zurück.

Reinhardus redete weiter: „Heute Morgen also habe ich zum ersten Male mein Recht und meine Pflicht in Anspruch genommen.“

Bernhardi tuschelte Auerbach zu. „Eine schöne Umschreibung … Um eine so schnelle und gezielte Verhaftungsaktion durchzuführen, bedarf es im Voraus schon sehr konkreter Planungen, von der Bereitstellung der vielen Wachen einmal abgesehen.“

„Darf ich um Ruhe bitten!“, fuhr Reinhardus gereizt fort.

Das allgemeine Getuschel legte sich.

„Das Verhör hat ergeben, dass drei Studenten, die an diesem Aufruhr beteiligt waren, identifiziert werden konnten. Einer hat gestanden und wird nun einem herzoglichen Richtergremium vorgeführt. Die beiden anderen haben geleugnet, aber da sie durch unseren geschätzten Kollegen Wenzel eindeutig identifiziert worden sind, werden sie jetzt von unserer Universität entfernt. Leider ist es mir nicht gelungen, weitergehende Strafen für sie zu erwirken.“ Reinhardus blickte ernst und würdevoll in die Runde. „Ich hoffe, dass damit Ruhe und Ordnung in unserem Lehrbetrieb wiederhergestellt sind. Ich habe angeordnet, vor den Hörsälen über diese Vorkommnisse zu informieren, und gehe davon aus, dass diese Warnung ausreicht, um eine Wiederholung solchen Tumultes zu verhindern. Euch, meine verehrten Kollegen, ersuche ich hiermit, Euch an mich zu wenden, falls Ihr Zeugen eines erneuten Aufflammens lutherischen oder anderen Geistes werdet. Ich hoffe aber, dass das heutige Exempel ein solches Vorgehen unnötig machen wird. Gibt es noch Fragen?“

Nach dieser deutlichen Klarstellung gab es für die Anwesenden keinen Grund mehr, Fragen zu stellen. Niemand wollte in den Verdacht geraten, Kritik an den Maßnahmen zu üben oder gar Sympathie mit den Aufrührern zu zeigen.

„Ich wünsche uns eine ungestörte Fortsetzung unserer Tätigkeit im Dienste der göttlichen und weltlichen Wissenschaften und bitte darum, wieder zur Normalität zurückzukehren. Vielen Dank!“

Leises Gemurmel begleitete den Schluss der Rede, aber niemand ergriff das Wort. Im Vorbeigehen schnappte Bernhardi einige Wortfetzen auf, aus denen er bei manchen vorbehaltlose Zustimmung heraushörte, teilweise aber auch leichte Kritik – nicht an den Maßnahmen selbst, sondern an deren Vorbereitung und Geheimhaltung. Sie konnte durchaus als Furcht des Rektors vor dem eigenen Lehrpersonal gedeutet werden. So brauchte er seine Ansichten nicht zu diskutieren und vor keinem zu rechtfertigen.

„Einhard, hast du Lust, noch auf einen Schluck zu mir zu kommen? Elisabeth wird sich bestimmt freuen, dich wiederzusehen. Ich würde auch gerne wissen, was du von dieser Sache hältst“, sprach Bernhardi seinen Kollegen an.

„Ja, gern. Aber warte, bis wir ein Stück entfernt sind.“

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander, dann unterbrach Auerbach die Stille: „Da hat unsere Magnifizenz aber nicht nur einigen vorwitzigen und übermütigen Studenten einen bösen Streich gespielt, findest du nicht auch?“, begann er bedächtig.

„Wenn es sich bloß um einen Fall von jugendlichem Leichtsinn gehandelt hat … Aber in dem anderen hast du vollkommen recht. Reinhardus hat das ganze Kollegium überrumpelt.“

„Früher wäre das so nicht möglich gewesen. Offenbar sind unserem Rektor gute Beziehungen zum Hof wichtiger als die zu seinem Lehrpersonal.“

Bernhardi stimmte ihm zu. „So wird es sein. Aber jetzt frage ich dich, lieber Einhard: Was soll ich mit dem zweifelhaften Giftgebräu anstellen, das hier in meiner Tasche verborgen ist?“

„Wie bitte? Ist das dein Ernst? So schlimm ist Reinhardus nun auch wieder nicht, dass er ein solches Risiko einginge!“ Auerbachs erstaunter Blick war zu komisch, sodass Bernhardi kurz auflachte.

„Der Herr bewahre! Ich hatte vergessen, dass du davon ja nichts mitbekommen hast. Wir sehen uns eben zu selten. Nach der aufsehenerregenden Wegführung einer ganzen akademischen Klasse hatten Wenzel und ich das zweifelhafte Vergnügen, weitere Handlangerdienste für unseren Rektor zu verrichten. Wir sollten den Hörsaal nach verdächtigen Objekten durchsuchen und Wenzel hat das hier gefunden.“

Bernhardi kramte kurz in seiner Tasche und zog das kleine Büchlein heraus. Als Auerbach das Titelblatt sah, zupfte er erschrocken am Wams seines Kollegen und drückte das dünne Buch wieder in seine Tasche zurück.

„Vorsicht! Wer weiß, welche Spitzel hier noch rumlaufen.“

„Na ja, immerhin habe ich bloß einen Auftrag von höherer Stelle ausgeführt“, schmunzelte Bernhardi. „Manchmal muss man einfach die Chance ergreifen, wenn sich eine solche zufällig bietet.“

„Das heißt?“, fragte Auerbach zögernd.