image

Andreas Malessa

Einen AIRBAG
für die Seele, bitte!

Was tun gegen die Angst?

Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist mehrerer ARD-Sender, Theologe, Buchautor und Referent für kirchliche, soziale und kulturelle Themen. Er schrieb die Musicals „Amazing Grace“ und „Martin Luther King“, ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Töchter und lebt in der Nähe von Stuttgart.
Veranstaltungsanfragen und Kontakt zum Autor:

Von Andreas Malessa außerdem im BRUNNEN Verlag erschienen:

© 2020 Brunnen Verlag GmbH, Gießen

Inhalt

Über dieses Buch

Chris Pahl: Mutschreiber!

Andreas Malessa: Airbag-Check

1 Trotzdem Angst haben dürfen

2 Immer da, nie zugegeben

3 Wenn das rauskommt!

4 Helfen Fakten gegen die Angst?

5 Halt, stehen bleiben. So sein dürfen

6 Die Ahnen erahnen

7 Ehrfurcht gegen Angst

8 Trost ohne Airbag

9 Angst vor Freiheit und Zukunft

10 Der Name. Das Programm gegen Angst

Anhang

Über dieses Buch

Chris Pahl: Mutschreiber!

Dieses Buch ist ein starkes Zeichen gegen die allgegenwärtigen gesellschaftlichen und privaten Ängste.

Andreas Malessa macht Mut und haut ehrlich und mit viel Augenzwinkern seine Meinung raus. Die biblische Mose-Geschichte wird dabei passend in unseren Alltag interpretiert.

Wir brauchen mehr solcher Mutschreiber!

Chris Pahl, Buchautor und Projektleiter
des Jugendevents CHRISTIVAL22

Über dieses Buch

Andreas Malessa: Airbag-Check

„Woher wissen Sie, dass der Wagen einen Airbag hat?“

„Na, weil’s draufsteht. Auf dem Armaturenbrett, am Lenkrad oder an den Stellen der Innenverkleidung.“

„Sind Sie sicher?“

„Ja doch! Im Handschuhfach liegt eine dicke Betriebsanleitung, die voraussetzt, dass es ihn gibt. Vermutlich steht sogar drin, wie er funktioniert.“

„Vermutlich?“

„Na ja, das ganze Manual gelesen hab’ ich jetzt nicht. Wer macht das schon?“

„Aber die wichtigsten Funktionen geprüft haben Sie doch sicher? Schließlich hängt Ihr Leben davon ab.“

„Ich bin doch nicht der TÜV, sondern der Kunde. Ich vertraue dem Händler.“

„Sie vertrauen dem Händler …“

„Ja, gut, es gibt solche und solche. Aber wenn ein Airbag im Listenpreis schon drin ist, gehe ich mal davon aus, dass …“

„Wollen Sie, dass er zum Vorschein kommt?“

„Um Himmels willen, nein!“

1

Trotzdem Angst haben dürfen

Schade, wenn Leute von Gott denken wie von ihrem Airbag im Auto.

Ob’s ihn gibt oder nicht, lassen viele Menschen offen. Hoffen aber, dass Gott nie „gebraucht“ wird, also schockartig zum Einsatz kommen müsste wie ein Airbag beim Crash. Wenn der Ehepartner mit Trennung droht oder sie tatsächlich scheidungsamtlich durchzieht. Wenn die kleinen Kinder lebensgefährlich krank werden oder die jung-erwachsenen Kinder den Kontakt abbrechen. Wenn die intriganten Winkelzüge eines hässlichen Rosenkrieges zu einem handfesten Sorgerechtsprozess eskalieren. Wenn die Firma pleitegeht, der Familienernährer arbeitslos ist, der Schuldenberater eine Privatinsolvenz feststellt und die Wohnung gekündigt wird. Wenn der Hausarzt eigeninitiativ anruft. Weil er im persönlichen Gespräch das Laborergebnis mitteilen muss: Krebs! Unwiderlegbar Krebs.

Dann, ja dann!!

Schade.

Schade finde ich eine solche Einstellung aus zwei Gründen:

Die Möglichkeit eines lebenslang gepflegten Vertrauensverhältnisses zu Gott wird verschenkt. Der innere Dialog und eine dadurch gewachsene Liebesbeziehung finden nicht statt. Ein ganzes Leben voller Erfahrungen im Umgang miteinander wird verpasst. Die Chance fortschreitender Persönlichkeitsreifung durch Spiritualität wird vertan.

Stattdessen reduziert sich die Gottesbeziehung auf eine Art juristischen Anspruch: Weil bei meiner Taufe die Eltern und Paten – und bei meiner Kommunion oder Konfirmation ich selbst – mal gesagt haben „Ja, ich glaube“, wurde damals eine religiöse Lebensversicherung abgeschlossen, von der ich jetzt im leider eingetretenen „Versicherungsfall“ auch die vereinbarte Summe Trost und Kraft ausbezahlt kriegen sollte.

Kommt die nicht – jedenfalls nicht zu meinen Lebzeiten –, dann ist Gott vertragsbrüchig und ich bin wütend wie auf einen Automaten, der das Geld schluckt, aber die Ware nicht ausspuckt.

Alle Menschen, jedenfalls alle, die ich bisher kennengelernt oder von denen ich gehört habe, leben mit dem völlig berechtigten Wunsch, in ein dickes weiches Kissen zu stürzen, wenn ihnen ein Unglück widerfährt. Wünschen sich, schützend aufgefangen und umhüllt zu werden. Getröstet in anhaltender Umarmung hemmungslos weinen, bitterlich klagen und empört schimpfen zu dürfen. Unkommentiert und ohne Werturteile durch die unabsehbar lange Dauer des Schreckens begleitet zu werden. Wünschen sich, in Schmerzen, in Verzweiflung, in Trauer eine haltende Hand zu fassen. Eine völlig berechtigte Sehnsucht. Sogar dann, wenn es ein selbst verursachtes Unglück war, das da hereinbrach.

Viele „Unfallopfer“ des Lebens machten dabei aber die Erfahrung: Der religiöse Airbag ging gar nicht auf! Gott schien weiter fest verpackt in rot beleuchteten Tabernakeln und kerzenumstandenen Altären, kam nicht raus aus dem Stauraum weihevoller Erhabenheit, raus in den windumtosten Dreck der Straße, in die beklemmende Stille der Wartezimmer, in die grell erleuchtete Sterilität der Operationssäle oder die latent verärgerten Warteschlangen auf Sozialbehörden und Ämtern.

Gott schwieg. Versteckte sich. Blieb unerfahrbar.

Nun gibt es aber ja auch das positive Gegenteil:

Menschen, deren „Glaube“ – ihr Vertrauensverhältnis, ihre Liebesbeziehung, ihr kontinuierlicher innerer Dialog, ihr Umgang und ihr Erleben mit Gott – sie beim Crash tatsächlich schützend aufgefangen hat!

Der Airbag ging auf, ein Kissen aus Trost und Nähe federte den Aufprall ab!

Sie wurden durch ihr Gottvertrauen, ihre Gebete, ihre Gedanken und Empfindungen im Gottesdienst wirkungsvoll und nachweislich bewahrt.

Bewahrt vor der Depression, dem Verrücktwerden, dem körperlichen Krankwerden. Behütet vor selbstmitleidigem Gekränktsein, vor zynischer Bitterkeit und schleichender Vereinsamung.

„Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt Jesus zu einer Frau, die nur durch eine flüchtige Berührung mit ihm gesund wurde.1

Verständlicherweise freudig erzählen solche „Gläubigen“ dann von ihrer wunderbaren Gotteserfahrung und verständlicherweise häufig werden sie als schlagender Beweis oder lebendiges Zeugnis für Gottes trostvolle Kraft und Macht herumgereicht. Zur Stärkung, zur Ermutigung, zur Inspiration ihrer Zuhörer. Prima. Her damit. Gar nichts dagegen. „Mut machen“ und „Hoffnung geben“ sollte man wenigstens versuchen dürfen, denn „wes das Herz voll ist, läuft der Mund über“2. Optimismus kann ansteckend sein. Lachen ist es sowieso.

Aber – und dieses Aber ist der zweite Grund, warum ich die „Mach-mir-den-Airbag“-Haltung schade finde: Diese sehr persönliche Erfahrung einer tief greifenden Gottesgeborgenheit, eines sicher Umhüllt- und Aufgehobenseins ist nur in den seltensten Fällen wirklich übertragbar. Einem Geängstigten nützt der Zuruf „Hab’ keine Angst!“ meist wenig.

Dass alle Jungs meiner Klasse im Schwimmunterricht bereits einen gekonnten Köpper vom Dreimeterbrett gemacht hatten, verringerte meine Angst kein bisschen, als ich bibbernd hoch oben an der Kante des schwingenden Sprungbretts stand. Im Gegenteil: Es erhöhte auch noch den Druck, jetzt bloß keine Angst zu haben! Hatte ich aber.

Und schämte mich dafür.

Statt von Gott in der schiefen Metapher eines Airbags zu reden, eines Luftkissens gegen die Prellungen, Blessuren und seelischen Hämatome des Alltags; statt ihn zum religiösen Stoßdämpfer gegen die Schlaglöcher auf unseren Lebenswegen zu verzwecken, will ich erst mal wissen, wie Jesus mit der Angst umging und wie er von ihr redete.

Warum Jesus?

Weil ich Christ bin. Und „Christ“ bin ich nicht einfach deshalb, weil ich „an Gott glaube“ – das tun Juden und Muslime auch –, sondern weil ich glaube, dass Gott so ist, wie Jesus ihn uns schildert. Und weil ich glaube, dass Gott den Menschen so will, wie Jesus ihn uns vorgelebt hat. Dass er also der Prototyp des Menschlichen an sich ist, an dem ich Maß nehmen kann.

„Und Jesus fing an, bekümmert zu werden und heftig zu zagen“3, erzählt Evangelienautor Matthäus, „Er geriet in Todesangst und betete heftiger und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen“4, sagt das Lukasevangelium, „Er hat Gebete und flehentliche Bitten mit starkem Geschrei und Tränen vor den gebracht, der ihn vom Tod erretten konnte und ist erhört und befreit worden aus seiner Angst“5, heißt es rückblickend im Hebräerbrief.

Die bewaffneten Suchtrupps der Römer sind Jesus nämlich bereits auf der Spur. In wenigen Augenblicken wird er verhaftet werden, morgen wird man ihn öffentlich zu Tode foltern. In dieser Situation „vor Angst schreien“ zu müssen oder „Blut und Wasser zu schwitzen“, wie wir umgangssprachlich heute noch sagen, ist zutiefst menschlich. Panik ist nichts, wofür man sich schämen müsste oder getadelt werden könnte. Todesangst erst recht nicht.

„Ich höre ein Geschrei wie von einer Gebärenden“: Rund sechshundert Jahre vor Jesus hatte der Prophet Jeremia die Zerstörung Jerusalems vorausgesagt und die Stimmen in seinem Kopf mit der Angst einer Hochschwangeren verglichen: „Angstrufe wie von einer, die in ersten Kindsnöten ist. Ein Geschrei der Tochter Zion, die da keucht und die Hände ausbreitet: Weh mir, ich muss vergehen vor den Würgern.“6

Angst haben ist wie in einem „Rachen“7 sitzen, der zuschnappen kann.

Angst ist „die Erde ansehen und nichts als Trübsal und Finsternis finden im Dunkel“8. Ängste sind Fesseln, Angst ist die Hölle: „Stricke des Todes hatten mich umfangen und des Totenreichs Schrecken hatten mich getroffen, ich kam in Jammer und Not.“9

Kurz und schlecht: Jesus sagt seinen Jüngern lapidar auf den Kopf zu: „In der Welt habt ihr Angst.“ Basta. Die tröstliche Fortsetzung dieses gern und oft zitierten Satzes – „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“10 – bedeutet ja zunächst mal: „Ich. Ich habe sie überwunden. Ihr noch nicht.“

Bibelleser haben gezählt, dass in der Bibel – je nach Übersetzung – 366-mal „Fürchtet euch nicht!“ steht. Also für jeden Tag des Jahres und den 29. Februar obendrauf – in der Heiligen Schrift jeweils einen beruhigenden Zuruf gegen die Angst. Schön.

Das setzt aber doch offenbar voraus, dass es täglich Gründe gibt, Angst zu haben, oder?

2

Immer da, nie zugegeben

Wann immer die demografischen Pulsfühler der Nation – also Allensbach, Forsa, Dimap etc. – nach den „Ängsten der Deutschen“ fragen, unterscheiden sie in der Auswertung der Antworten zwischen sogenannten „kollektiven Ängsten“ vor Terror, Krieg oder Umweltkatastrophen und „individuellen Ängsten“ wie z. B. Krankheit oder Tod. Sie trennen also Befürchtungen, die eine Gesamtgesellschaft betreffen, von denjenigen Befürchtungen, die nur den Einzelnen ängstigen. Bei den individuellen Ängsten landen fast immer auf den ersten fünf Plätzen: Krebs, Tod eines Kindes, berufsunfähig machende Invalidität, Pflegebedürftigkeit im Alter und Zerbruch der Familie.

Nun ja, durch gesunde Lebensweise kann man einigen dieser Angstmacher vorbeugen. Aber was, wenn die Angstquellen unausweichlich vererbt sind?