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TIMOTHY KELLER

Stille Nacht –
Heilige Nacht

Warum wir Weihnachten
heute noch feiern

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Deutsch von Friedemann Lux

Originalausgabe unter dem Titel:

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Friedemann Lux

Bibelzitate folgen, wo nicht anders angegeben, im Neuen Testament der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen.

© 2018 Brunnen Verlag Gießen

Meinen Enkeln Lucy, Kate, Charlotte, Miles „und vielleicht noch mehr, die ich noch nicht sehen kann“. Mögen sie sich alle einmal freuen können über die wahre Weihnachtsgeschichte.

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Inhalt

Einleitung

1Ein Licht scheint auf

2Die Mütter von Jesus

3Die Väter von Jesus

4Wo ist der König?

5Marias Glaube

6Der Glaube der Hirten

7Ein Schwert durch die Seele

8Was Weihnachten uns lehrt

Danke!

Anmerkungen

Einleitung

Weihnachten ist das einzige christliche Fest, das gleichzeitig ein großer säkularer Feiertag ist – möglicherweise der wichtigste in unserer Kultur.1 Das Ergebnis sind zwei ganz unterschiedliche Feste, die von jeweils Millionen Menschen zur gleichen Zeit begangen werden, was auf beiden Seiten zu Irritationen führt. Viele Christen müssen feststellen, dass auf immer mehr öffentlichen Weihnachtsveranstaltungen jeder Bezug auf den christlichen Ursprung des Festes geflissentlich vermieden wird. In Kaufhäusern und Einkaufszentren wird man zunehmend nicht mehr mit „Stille Nacht“ beschallt, sondern mit „Jingle Bells“. „Das Fest“ wird als Zeit für die Familie, als Anlass für Geschenke und als Werbung für den Frieden in der Welt vermarktet. Wie ein begeisterter User der beliebten Website „Gawker“ schrieb: „Weihnachten ist ein wunderbarer säkularer Feiertag.“2

Auf der anderen Seite müssen viele nicht religiöse Menschen feststellen, dass die ursprüngliche Bedeutung von Weihnachten immer wieder wie ein ungeladener Gast anklopft, zum Beispiel durch die Melodien und Texte der alten Weihnachtslieder. Es kann peinlich sein, wenn man von seinem Kind bei der zweiten Strophe von „Stille Nacht“ gefragt wird: „Papa, was heißt das: ‚Da uns schlägt die rettende Stund …?‘“

Als Christ lasse ich die Gesellschaft, zu der ich gehöre, gerne an der Bedeutung dieses Festes teilhaben. Das säkulare Weihnachten ist ein Fest der Lichter, ein Fest der Familie und ein Tag, wo man sein Portemonnaie öffnet, sowohl für seine engsten Verwandten als auch für die Menschen, die besonders in Not sind. Diese Gebräuche machen uns alle reicher und passen sehr gut zu den christlichen Wurzeln dieses Feiertags.

Das „säkulare“ Weihnachten wird uns erhalten bleiben; es ist einfach zu wichtig für den Handel und seine Umsätze. Doch meine Befürchtung ist, dass in Zukunft immer weniger Menschen um seine eigentlichen Wurzeln wissen werden. Weihnachten als Fest der Lichter – das kommt ja von dem Glauben der Christen, dass es ein Licht für die Welt gibt – eine Hoffnung, die von außerhalb der Welt kommt. Das Schenken ist eine nahe liegende Reaktion auf die unerhörte Tatsache, dass Jesus sich selber den Menschen geschenkt hat, als er seine Herrlichkeit ablegte und als Mensch geboren wurde. Und die Spenden und Weihnachtsfeiern für die Armen und Bedürftigen erinnern uns daran, dass der Sohn Gottes nicht in eine aristokratische Familie hineingeboren wurde, sondern in eine arme; der Herr des Universums identifizierte sich mit den Niedrigen und Geringen und Verachteten.

Dies sind starke Themen – und alle sind sie zweischneidige Schwerter. Jesus kam als das Licht in die Welt, weil wir geistlich zu blind sind, um selber unseren Weg zu finden. Jesus wurde ein Mensch und starb, weil unser moralischer Bankrott so total ist, dass wir nur auf diese Art Vergebung erlangen konnten. Und weil Jesus sich so für uns hingegeben hat, müssen wir uns mit Haut und Haaren ihm hingeben; Christen gehören nicht mehr sich selbst (vgl. 1. Korinther 6,19). Weihnachten ist – genau wie Gott selber – sowohl wunderbarer als auch gefährlicher und bedrohlicher, als wir uns das vorstellen.

Mit jedem Jahr wird unsere zunehmend säkulare westliche Gesellschaft blinder für ihre eigenen historischen Wurzeln, von denen viele mit den Grundlagen des christlichen Glaubens zu tun haben. Aber einmal im Jahr, zu Weihnachten, werden diese Grundwahrheiten einem enorm großen Publikum ein kleines bisschen zugänglicher. Auf zahllosen Konzerten, Feiern und anderen Veranstaltungen kommen plötzlich unversehens Grundaussagen des christlichen Glaubens zur Sprache, selbst wenn die meisten der Teilnehmer mit Religion nichts am Hut haben. Nehmen wir als Beispiel das wohl bekannteste Weihnachtslied, „Stille Nacht, heilige Nacht“, das man in der Vorweihnachtszeit in Einkaufszentren, Supermärkten und an Straßenecken hören kann: Wer ist Jesus? – „Gottes Sohn, o wie lacht“, er ist Gott „in Menschengestalt“. Wozu kam er auf die Erde? – Um zu retten: „Christ der Retter ist da“. Wie tat er das? – In seinem Kommen auf die Erde zeigt sich die „Lieb aus göttlichem Mund“. Wie können wir dieses neue Leben bekommen? – Indem „uns schlägt die rettende Stund“, das heißt, indem wir diese Liebe und Rettung auch persönlich annehmen. Ursprünglich war das Lied sogar noch inhaltsreicher – von den eigentlich sechs Strophen sind heute nur noch drei allgemein bekannt.3

Nicht alle der bekannteren Weihnachtslieder und Bibelabschnitte sind so inhaltsreich, aber Tatsache ist: An ein paar Tagen im Jahr kommen Hunderte Millionen Menschen auf Tuchfühlung mit dieser Botschaft; sie bräuchten sich nur die Mühe zu machen, die gleichen Fragen an diese Texte zu stellen, die wir gerade an „Stille Nacht“ gestellt haben. Wer Weihnachten verstanden hat, der hat die Botschaft von Jesus Christus verstanden.

In diesem Buch möchte ich die Wahrheiten von Weihnachten aus ihrem Versteck herausholen. Wir werden uns einige Bibelabschnitte ansehen, die bekannt und berühmt sind, weil sie an jedem Weihnachtsfest – an dem einen Punkt des Jahres, wo die säkulare Gesellschaft und die christliche Kirche in gewissem Maße an dasselbe denken – aus der Mottenkiste hervorgeholt werden. In den ersten Kapiteln werden wir uns das Matthäusevangelium anschauen, um zu sehen, was für Geschenke Gott uns da an Weihnachten gemacht hat. In den folgenden Kapiteln wenden wir uns dem Lukasevangelium zu und fragen uns, wie wir diese Geschenke empfangen können.

Es ist meine Hoffnung, dass dem Leser nach der Lektüre dieses Buchs die wahre Bedeutung von Weihnachten nicht länger verborgen ist.

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Kapitel 1

Ein Licht scheint auf

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. … Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende …

Jesaja 9,1.4-6

Woran merkt man es, dass es bald wieder Weihnachten ist? Unter anderem an den vielen Lichtern. Lichter an Bäumen, Kerzen in Fenstern – überall wird es hell. Die Weihnachtsbeleuchtung von New York begeistert selbst die gleichgültigsten Zeitgenossen. Die ganze Innenstadt scheint ein Sternenmeer zu sein. Und das hat seinen Sinn, denn der 25. Dezember folgt auf die dunkelsten Wochen des Jahres im Mittelmeerraum und in Europa, wo das christliche Weihnachtsfest entstanden ist. Doch die Lichter sehen nicht nur schön aus, sie haben eine tiefe Bedeutung.

Die Finsternis der Welt

Egal, was Sie in einem Zimmer machen wollen, Sie müssen zuerst für Licht sorgen, sonst können Sie nichts sehen. Das Weihnachtsfest enthält viele geistliche Wahrheiten, aber wir werden uns schwertun, die anderen zu erfassen, wenn wir nicht diese erste sehen: Unsere Welt ist ein finsterer Ort, und wir werden in ihr nie unseren Weg finden oder die Realität sehen, wenn nicht Jesus unser Licht ist. Der Evangelist Matthäus sagt uns mit einem Zitat aus Jesaja 9,1: „Das Volk, das in der Finsternis lebt, sieht ein großes Licht; über denen, die im Land der Todesschatten wohnen, ist ein helles Licht aufgegangen“ (Matthäus 4,16). Und Johannes nennt Jesus „das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet – das Licht, das in die Welt kommen sollte. Er war in der Welt, aber die Welt, die durch ihn geschaffen war, erkannte ihn nicht“ (Johannes 1,9-10).

Inwiefern ist die Welt finster? In der Bibel meint „Finsternis“ zweierlei: das Böse und die Unwissenheit. Es bedeutet erstens, dass die Welt voll ist von Bösem und unsäglichem Leid. Wer das nicht glaubt, braucht sich nur anzuschauen, wie es zu der Zeit war, wo Jesus geboren wurde: Gewalt, Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch, Heimatlose und Flüchtlinge, Familien, die zerrissen wurden, Elend ohne Ende. Klingt verdächtig nach unserer heutigen Welt.

Das zweite „Finstere“ in unserer Welt ist, dass niemand uns sagen kann, wie man das Böse in ihr abschaffen, das Leiden heilen kann. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“ – Jesaja 9,1 ist ein bekannter Weihnachtstext, eine der großen Prophezeiungen der Geburt Jesu, musikalisch unsterblich geworden unter anderem in Händels „Messias“. Doch es ist das Ende von Jesaja 8, das uns genauer erklärt, warum wir Gottes Licht brauchen. In Jesaja 8,19 sehen wir Menschen, die Medien und Zauberer befragen, anstatt sich an Gott zu wenden, und in den Versen 21-22 heißt es: „Sie werden im Lande umhergehen, hart geschlagen und hungrig … und unter sich die Erde ansehen und nichts finden als Trübsal und Finsternis; denn sie sind im Dunkel der Angst und gehen irre im Finstern.“

Was geht hier vor? Die Menschen schauen zur Erde hinunter – also zu den menschlichen Möglichkeiten, diese Welt heil zu machen. Sie schauen auf ihre Experten, ihre Mystiker, ihre Wissenschaftler und Gelehrten – sicher haben die eine Lösung? Sie sagen: „Schön, wir sind im Dunkeln, aber da kommen wir schon raus, das schaffen wir schon!“ Heute hört man die gleiche Behauptung. Die einen erwarten die Lösung vom Staat, andere (das sind schon mehr) von den freien Märkten, und jeder setzt auf die Technologie. Und sie alle gehen von der gleichen Grundannahme aus: Die Welt ist dunkel, aber mit genügend Intellekt und Innovation werden wir – jawohl, wir – sie schon hell bekommen …

Vor Jahren las ich in einer der größten Zeitungen Amerikas, der New York Times, eine Anzeige, die so lautete: „Die Bedeutung von Weihnachten ist, dass die Liebe triumphieren wird und dass es uns gelingen wird, eine Welt der Einheit und des Friedens zu bauen.“ Mit anderen Worten: Wir tragen das Licht in uns selber; wir sind diejenigen, die die Finsternis der Welt vertreiben werden. Wir können sie überwinden, die Armut, die Ungerechtigkeit, die Gewalt und das Böse. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir „eine Welt der Einheit und des Friedens“ schaffen.

Aber können wir das wirklich? Einer der weisesten Staatsmänner des späten 20. Jahrhunderts war Václav Havel, der erste Präsident der Tschechischen Republik. Havel kannte sich wie kaum ein anderer sowohl mit dem Sozialismus als auch mit dem Kapitalismus aus und traute keinem der beiden zu, die großen Probleme der Menschheit zu lösen. Er wusste: Die von der Moral losgelöste Wissenschaft hatte uns den Holocaust beschert. Er kam zu dem Schluss, dass weder die Technologie noch der Staat noch der Markt der große Heiland war, der uns vor einem drohenden Atomkrieg, ethnischer Gewalt oder der Umweltzerstörung retten konnte. Havel wörtlich: „Die Jagd nach Wohlstand wird der Menschheit nicht helfen, sich zu retten, und auch die Demokratie allein reicht nicht. Was wir brauchen, ist die Hinwendung zu und die Suche nach … Gott.“4 Die Menschheit vergisst ständig, so Havel an anderer Stelle, dass „sie nicht Gott ist“5.

Der Realismus des Weihnachtsfestes

Der Inserent in der New York Times hat es zweifellos ehrlich gemeint, aber die Botschaft von Weihnachten ist nicht, dass wir „eine Welt der Einheit und des Friedens“ schaffen können. Sie ist eigentlich das genaue Gegenteil. Havel bringt es auf den Punkt: Die Menschheit kann sich nicht selber retten, ja der Glaube, dass wir uns selber erlösen können – dass ein politisches System oder eine Ideologie die Probleme der Menschheit lösen kann –, hat nur zu noch mehr Finsternis geführt. Wenn man, wie der Philosoph Bertrand Russell, nicht glaubt, dass es einen Gott oder eine übernatürliche, transzendente Dimension der Realität gibt, und die große Erleuchtung von der Wissenschaft erwartet, steht man am Ende noch mehr im Dunkeln da:

Ungefähr so, nur noch sinn- und bedeutungsloser, ist die Welt, die die Wissenschaft unserem Glauben darbietet. … Dass der Mensch das Produkt von Ursachen ist, die nicht wussten, wohin sie führen würden, dass sein Ursprung, sein Aufwachsen, seine Hoffnungen und seine Ängste, was er liebt und was er glaubt, nichts als das Ergebnis zufälliger Konstellationen von Atomen ist, dass kein Eifer, kein Heldentum, kein noch so starker Gedanke oder Gefühl unser Leben über das Grab hinaus verlängern kann, dass all die Mühen der Zeitalter, all die Hingabe, all die Inspiration, all das gleißende Licht des menschlichen Genius dazu bestimmt sind, im Riesentod des Sonnensystems mit zu verlöschen, und dass der ganze Tempel der menschlichen Errungenschaften einst unweigerlich unter den Trümmern eines zerbrochenen Universums begraben liegen wird … nur in dem Rahmen dieser Wahrheiten, nur auf dem festen Fundament der trotzigen Verzweiflung können wir das Haus der Seele in Zukunft noch sicher errichten.6

Das ist eine wahrhaft finstere Perspektive! Und sie unterstreicht das, was wir in Jesaja 8 sahen: Wenn wir nur auf die Erde und unsere menschlichen Möglichkeiten schauen, wird die Finsternis nur noch schlimmer.

Das Weihnachtsfest ist daher die denkbar unsentimentalste, realistischste Art, das Leben zu betrachten. Weihnachten heißt nicht: „Kopf hoch! Wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir eine bessere Welt schaffen.“ Die Bibel empfiehlt an keiner Stelle eine gleichgültige Einstellung zu den Mächten der Finsternis; sie ruft zum Kampf gegen sie auf. Aber sie gibt sich keinen Illusionen hin, dass wir die Finsternis aus unserer eigenen Kraft besiegen können. Der christliche Glaube hält es nicht mit jenen Optimisten, die sagen: „Wir können die Welt reparieren, wenn wir uns nur Mühe geben.“ Nein, die Botschaft des Christentums lautet: „Es steht wirklich so schlecht um die Welt und wir können uns nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Es ist wirklich so dunkel – aber es gibt Hoffnung.“ Die christliche Botschaft ist: „Über denen, die im Land der Todesschatten wohnen, ist ein helles Licht aufgegangen.“ Man beachte, dass hier nicht steht, dass das Licht aus der Welt selber kommt, sondern es ist über ihr aufgegangen. Das Licht kommt von außen. Es gibt Licht „draußen“, jenseits dieser Welt, und Jesus hat dieses Licht gebracht, um uns zu erlösen, ja er ist dieses Licht (Johannes 8,12).

Was das Licht bedeutet

Wenn Jesaja davon spricht, dass Gottes Licht über einer finsteren Welt „aufgeht“, benutzt er die Sonne als Symbol. Das Licht der Sonne bringt Leben, Wahrheit und Schönheit.

Die Sonne gibt uns Leben. Wenn die Sonne erlöschen würde, würden wir alle erfrieren. Die Sonne ist die Quelle allen Lebens. Entsprechend sagt die Bibel: Nur in Gott „leben wir, bestehen wir und sind wir“ (Apostelgeschichte 17,28). Wir existieren nur deswegen, weil er uns in jedem Augenblick festhält. Unser Sein ist eine Leihgabe von Gott und dies gilt nicht nur für unseren Körper, sondern auch für unseren Geist, unsere Seele. Die Bibel sagt uns, dass wir die ursprüngliche, volle, richtige Beziehung zu Gott, die die Menschheit ganz am Anfang hatte, verloren haben (1. Mose 3,1-24). Das ist der Grund dafür, dass wir eines Tages unweigerlich sterben müssen und schon vorher den inneren, geistlichen Tod erleben, der sich in Sinn- und Hoffnungslosigkeit äußert, in Süchten und Exzessen, in einer tiefen Unzufriedenheit, die nichts stillen kann, in Schmach und Schande und Identitätskonflikten und in der Unfähigkeit, sich zu ändern.

Die Sonne zeigt uns die Wahrheit. Wenn Sie nachts ohne Scheinwerfer Auto fahren, werden Sie sehr wahrscheinlich einen Unfall bauen. Warum? Das Licht zeigt uns die Wahrheit der Dinge, wie sie wirklich sind, und ohne Licht haben wir nicht genügend Wahrheit, um sicher durchs Leben zu fahren. Ähnlich sagt uns die Bibel, dass Gott die Quelle aller Wahrheit ist (1. Johannes 1,5-6). Er ist der einzige Grund dafür, dass wir überhaupt etwas wissen können, denn er hat unseren Verstand und unser Erkenntnisvermögen erschaffen. Doch andererseits können wir nur dann erkennen, wer Gott ist, wenn er uns dies offenbart, und genau dies tut er in der Bibel. Allein durch ihn funktionieren meine grauen Zellen und nur durch sein Wort kann ich wirklich verstehen, wer er ist – und wer folglich ich, sein Geschöpf, bin.

Die Sonne ist schön. Das Strahlen des Lichtes bringt uns Freude. Dies ist durchaus wörtlich zu nehmen: In Gegenden, wo es im Winter nur ganz wenige Stunden hell wird, bekommen viele Menschen Depressionen. Wir brauchen Licht, um uns freuen zu können. Wie der Kirchenvater Augustinus es in seinen Bekenntnissen so unsterblich formuliert hat: „Unser Herz ist so lange unruhig in mir, bis es Ruhe findet in Dir.“ Augustinus glaubte, dass, egal woran wir uns gerade freuen, die eigentliche Quelle dieser Freude immer Gott ist. Das, was ich da liebe, kommt ja von ihm und ist deswegen so schön, weil es seine Handschrift trägt. Alle Freude kommt im Grunde aus Gott und alle unsere irdischen Freuden sind sozusagen abgeleitete Freuden, weil das, was wir da suchen, eigentlich Gott ist, ob uns das nun klar ist oder nicht.

Das Licht geht auf

Bei Gott allein gibt es also das Leben, die Wahrheit und die Freude, die wir selber nicht haben und nicht machen können. Wie kann dieses göttliche Licht über uns „scheinen“ (oder, wörtlich, „aufblitzen“, wie es in Jesaja 9 heißt)? Vers 5-6, die bekanntesten Verse dieses Kapitels in Jesaja, geben ohne Umschweife die Antwort: Das Licht ist gekommen, „denn uns ist ein Kind geboren“. Dieses Kind bringt dieses Licht, denn es heißt „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“. Dies sind vier Titel, die allein Gott zukommen. Er ist der „Gott-Held“, der mächtige, starke Gott. Er ist der ewige Vater, das heißt der Schöpfer – und doch wird er geboren. Das bietet uns keine andere der Weltreligionen. Jesus ist kein Mensch, in dem sich irgendwie das göttliche Prinzip verkörpert, wie in den indischen Religionen, nein, er ist Mensch und gleichzeitig vollständig Gott selber!

Es ist fast eine Untertreibung, wenn wir sagen, dass wir dies an Weihnachten „feiern“. Wir stehen davor und wissen schier nicht, was wir sagen sollen, voller Staunen, Liebe und Anbetung. Im Rest dieses Buchs werden wir uns anschauen, was es alles bedeutet, dass Gott in unsere Welt hineingeboren ist. Hier möchte ich nur zwei Dinge erwähnen.

Erstens: Wenn Jesus wirklich der starke Gott und ewige Vater ist, reicht es nicht, dass man ihn irgendwie gut findet. In der Bibel reagieren die Menschen, die Jesus persönlich erleben, nie mit Gleichgültigkeit oder auch nur Zurückhaltung. Sobald sie erkannt hatten, was er da von sich behauptete, waren sie entweder zutiefst erschrocken oder sie wurden wütend oder aber sie knieten vor ihm nieder und beteten ihn an. Aber niemand fand ihn einfach nett, niemand sagte: „Der hat etwas. Wenn ich in seiner Nähe bin, möchte ich ein besserer Mensch werden.“ Wenn das Kind, das zu Weihnachten geboren wurde, der allmächtige Gott in Person ist, dann muss ich ihm mit Haut und Haaren dienen. Wir werden in Kapitel 3 zu diesem Punkt zurückkehren.

Zweitens: Wenn Jesus der wunderbare Ratgeber und der Friedefürst ist, sollte es unser größter Wunsch sein, ihm zu dienen. Warum wird er „Ratgeber“ (ELB) genannt? Wenn ich in meinem Leben große Probleme habe, ist es gut, mit jemandem reden zu können, der Ähnliches hinter sich hat und der aus eigener Erfahrung weiß, was ich da mitmache. Wenn Gott wirklich als Säugling in einer Krippe lag, dann haben Christen etwas, was keine andere Religion auch nur vorgibt zu haben: einen Gott, der mich versteht, weil er in meiner Haut gesteckt hat. Keine andere Religion behauptet, dass Gott gelitten hat, dass er seinen Mut zusammennehmen musste, dass er weiß, wie das ist, wenn die Freunde einen im Stich lassen, wenn Unrecht und Niedertracht einen zu Boden werfen, wenn man zu Tode gefoltert wird. Weihnachten zeigt uns, dass Gott weiß, was wir durchmachen. Wenn wir mit ihm reden, versteht er uns.

Dorothy Sayers, eine britische Autorin, die nicht nur Krimis schrieb, sagte vor etlichen Jahren Folgendes über die Menschwerdung Gottes: