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Tom Doyle/Greg Webster

Träume und Visionen

Wie Muslime heute Jesus erfahren

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Deutsch von Dr. Friedemann Lux

© der deutschen Ausgabe: 2013 Brunnen Verlag Gießen
www.brunnen-verlag.de
Umschlagfotos: Shutterstock
Umschlaggestaltung: Ralf Simon
Satz: Die Feder GmbH, Wetzlar
ISBN 978-3-7655-4210-7
eISBN 978-3-7655-7108-4

Leserstimmen

„Das sind auf jeden Fall die aufregendsten Lebensberichte, die ich jemals gelesen habe!“

„Ich kann mit dem Lesen nicht aufhören. Man erfährt, wie Gott in diesen Ländern handelt. Genauso, wie es in Jesaja heißt: ‚Ich will mich finden lassen von denen, die nicht nach mir suchten.‘ “

Inhalt

Vorwort: Jesus und die Muslime

Teil I: Ägypten – Hosianna dem König der Araber!

1. Freitag auf dem Khan

2. Der Imam und die Pistole

Teil II: Saudi-Arabien – Das verschlossene Land

3. „Nichtmuslime werden getötet“

4. „Kann ich im Badezimmer zu Jesus beten?“

5. Abschiedsgedicht einer Märtyrerin

6. Die Bibel in Mekka

Teil III: Iran – Die Revolution

7. Miss Scharia

8. „Möchten Sie lieber Kaffee oder Tee?“

Teil IV: Jordanien – Ehre für Ehrenmorde

9. Der große Freund

10. Zwei Mal bekehrt

Zwischenbetrachtung

Die große Erweckung in der muslimischen Welt

Teil V: Syrien – Spione in der Kirche

11. Der beste Kunde der Geheimpolizei – Teil 1

12. Der beste Kunde der Geheimpolizei – Teil 2

13. „Deine Mörder sind unterwegs!“

Teil VI: Irak – Am Anfang schuf Gott den Irak

14. Die Schwerter von Bagdad – Teil 1

15. Die Schwerter von Bagdad – Teil 2

Teil VII: Israel, Gazastreifen und Westjordanland – Mauern können fallen

16. Wer ist bitte der echte Jesus?

17. „Ich hasse die Juden!“

18. Hummus mit der Hamas

19. Westjordanland

Teil VIII: Afghanistan – Die Pforten der Hölle müssen weichen

20. Der Friedenssucher und der Friedefürst

21. „Warum sind Sie in unserem Land?“

Teil IX: Im Westen – Muslime zu Christus hinlieben

22. Mit dem Hidschab in die Bibelstunde

23. Sonntagsschule für Muslime

Schlussfolgerungen

Jünger sein für Fortgeschrittene

Anhang

Kurze Geschichte des Wirkens von Jesus

Original oder Fälschung? – Biblische Kriterien für Träume und Visionen

Die große Trendwende – das Christentum zieht am Islam vorbei

1400 Jahre Arbeit unter Muslimen

Anmerkungen

Der Dienst von Open Doors

Von denen, die mich gar nicht gesucht haben, ließ ich mich finden, und denen, die nie nach mir fragten, habe ich mich gezeigt.

(Jesaja 65,1)

„In der Welt habt ihr Angst, aber lasst euch nicht entmutigen: Ich habe die Welt besiegt.“

(Johannes 16,33)

Für Jesus

Du bist der König des Universums und mein Erlöser. Wie wunderbar bist Du! Wir leben in einer Zeit weltweiter Veränderungen und Unruhen, doch Du bist und bleibst der Fels unserer Erlösung und der Anker unserer Hoffnung. Ich liebe Dich.

Vorwort

Jesus und die Muslime

Die Welt scheint mit jedem Tag gefährlicher zu werden. Manchmal sieht es so aus, als ob das „Unkraut“ im Feld des Meisters überhandnehmen würde. Doch es gibt einen Gott im Himmel, der nach wie vor für uns sorgt, der auf seinem Thron sitzt und einen Plan hat, und dank seines revolutionären Plans für unsere Welt gedeiht der Weizen.

Das mächtige Wirken Gottes ist wie die Gezeiten am Meer; es kennt Ebbe und Flut.

Für die Flut haben die Kirchenhistoriker einen Fachausdruck: Erweckung. In jeder Erweckung handelt Gott, Jesus wird geehrt, Menschen kehren um und Kulturen werden verwandelt. Völker und Kontinente wurden durch diese Aufbrüche Gottes erschüttert. Aber die vielleicht erstaunlichste Erweckung aller Zeiten, die die Welt am stärksten prägen wird, seit Jesus vor über zweitausend Jahren zu uns kam, ist die, die wir gerade erleben: Jesus offenbart sich den Muslimen.

Das Phänomen ist nicht auf einige wenige Orte beschränkt. Es geht nicht um ein oder zwei afrikanische Länder, nicht um eine der mehreren Hundert Volksgruppen in Indien, auch nicht um eine Handvoll Städte im Nahen Osten – nein, überall zeigt Jesus sich Muslimen. In Dutzenden islamischer Länder und zahllosen muslimischen Kulturen ist seine Liebe offenbar geworden.

Haben Sie Angst vor dem Weltuntergang, vor islamischem Fundamentalismus oder dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft? Dann ist dieses Buch für Sie geschrieben. Was auch immer Ihre Ängste sind, fassen Sie Mut! Jesus hält alles fest in seiner Hand.

Wie schon immer, so spricht Jesus auch heute die Menschen einzeln an. Dieses Buch bietet Ihnen eine kleine Auswahl aus Tausenden von persönlichen Geschichten, die Sie nicht in den täglichen Nachrichten finden. Es zeigt Ihnen den wichtigsten Trend unserer Zeit – das Wirken Gottes heute.

Atmen Sie tief durch und betreten Sie eine neue Welt: Überall kommen Muslime zum Glauben an Jesus. Ihr frischer, hingebungsvoller Glaube wird Ihr Herz erobern. Ihre neuen Brüder und Schwestern in Christus leben im Iran, in Afghanistan, Ägypten, Saudi-Arabien und im Gazastreifen, ebenso in Syrien, Jordanien, dem Irak und im Westjordanland. Überall sind sie mutig und bereit, für Christus ihr Leben einzusetzen.

Jede dieser Geschichten ist eigentlich seine Geschichte: Jesus möchte, dass wir von seinem Wirken heute wissen und von seiner Macht, die immer noch dieselbe Durchschlagskraft hat wie zur Zeit der ersten Christen. Wir mögen über diese besonderen Erfahrungen in Träumen und Visionen staunen. Für Jesus sind sie höchstwahrscheinlich seit eh und je ganz normaler Teil seines täglichen Wirkens. Die Geschichten in diesem Buch berichten von Menschen, die ich oder die engsten Freunde meiner Familie im Nahen Osten persönlich kennen. Wenn wir ein Erlebnis nicht nachprüfen konnten, haben wir es weggelassen; dies ist kein christliches Märchenbuch!

Heute kommen mehr Muslime zum Glauben an Jesus als je zuvor in der Geschichte. Wir glauben, dass sich in den letzten zehn Jahren mehr Muslime Jesus zugewandt haben als in den 1400 Jahren seit dem Entstehen des Islams. Könnte es sein, dass sich heute die eigentliche Geschichte der Muslime nicht im islamischen Terrorismus zeigt, sondern im Werben Jesu um sie? Er bietet den Muslimen das ewige Leben an, das er ihnen durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung erkauft hat. Ich glaube, der islamische Terrorismus ist ein Versuch des Satans, Muslimen das Evangelium vorzuenthalten. Gottes Gegenspieler glaubt: Wenn er uns Christen dazu bringen kann, die Muslime zu hassen oder Angst vor ihnen zu haben, könnten wir sie auch nicht mit dem Evangelium erreichen. Doch dieser Plan funktioniert nicht, denn Jesus selbst hat eingegriffen und begonnen, die Herzen von Muslimen für sich zu gewinnen.

Um die mutigen Konvertiten zu schützen, die mir ihre Geschichte erzählt haben, habe ich einige Namen und sonstige Details verändert, die die Identität der Betroffenen enthüllen und sie in noch größere Gefahr für Leib und Leben bringen könnten. Im Übrigen sind dies wahre Geschichten von Konvertiten, die an vorderster Front stehen. Sie sind spannender als der beste Krimi, denn was kann faszinierender sein als das, was Gott tut? Also: Machen Sie sich auf einiges gefasst! Der Islam hat höchsten Besuch bekommen: Jesus ist da!

Teil I

Ägypten – Hosianna dem König der Araber!

1. Freitag auf dem Khan

„Du bist der Mann!“ Die Stimme einer Frau rief durch das Tohuwabohu des Khan el-Khalili-Freitagsmarktes in Kairo. „Du bist der Mann!“

Kamal Assam drehte sich abrupt um. Seine Augen fixierten den schwarzen Hidschab (Ganzkörperschleier), der da auf ihn zumarschierte. Eine Hand der Frau war durch das Gewand gestreckt, in seine Richtung. „Ja! Du!“

Kamals Instinkte befahlen ihm, den ungehörigen Ruf zu ignorieren und in der Menge zu verschwinden. Falls der Ehemann der Frau die Szene mitbekam, würde das sie – und Kamal – teuer zu stehen kommen. Wie kam eine praktizierende Muslimin dazu, ihn so in Gefahr zu bringen? Aber dann sagte ihm eine leise innere Stimme, dass diese Frau vielleicht der Grund für seinen plötzlichen Besuch auf dem Markt war.

„Du warst letzte Nacht in meinem Traum.“ Die Frau, jetzt nahe genug, um nicht mehr schreien zu müssen, atmete schwer von dem eiligen Marsch durch das Menschengewühl. Sie schien ebenso verblüfft zu sein wie Kamal selbst. „Diese Kleider – ja, diese Kleider hattest du da auch an. Jawohl, du bist der Mann!“

Kamal begriff sofort, warum diese Frau so nachdrücklich in sein Leben trat. „War ich mit Jesus zusammen?“, fragte er und schrie sie dabei fast an.

„Ja! Jesus war bei uns beiden!“

Was als gänzlich ungeplanter Besuch des Freitagsmarktes begonnen hatte, nahm damit eine frappierende Wendung. Als Kamal an diesem Morgen seine Bibel las, hatte es ihn plötzlich mit Macht gedrängt, sein Haus zu verlassen und auf den Freitagsmarkt zu gehen. Der im Herzen der ägyptischen Hauptstadt gelegene Khan el-Khalili ist Markt und Jahrmarkt in einem. Ein Mameluckenprinz hatte ihn 1382 erbaut, und an manchen Stellen riecht er auch so alt. Dieser riesige Freiluftbasar ist kein gewöhnlicher Souk (Markt). Er liegt neben der berühmten Hussein-Moschee und bietet dem Besucher, der Religion und Einkauf verbinden möchte, sogar ein Hotel. Ob Küchenutensilien, exotische Gewürze oder nachgemachte Nike-Schuhe – hier kann man so ziemlich alles kaufen, was die Polizei erlaubt (oder auch nicht).

Einen kurzen Fußweg vom Khan entfernt liegt die Al-Azhar-Universität. Sie ist die älteste ägyptische Hochschule und intellektuelles Zentrum des weltweiten sunnitischen Islams. Für arabische Muslime ist dies das Gelobte Land – und der Grund dafür, dass sich am 7. April 2007 in der Mitte des Khans ein Selbstmordattentäter in die Luft jagte. Der Anschlag war die Antwort auf das Vorgehen der Regierung gegen eine andere Terrorgruppe, die drei Jahre zuvor am gleichen Tag ein Sprengstoffattentat auf das Hotel „Taba-Hilton“ auf der Sinai-Halbinsel am Roten Meer verübt hatte; 31 Israelis waren dabei gestorben.

Die Botschaft des Anschlags vom 7. April 2007 an die ägyptische Regierung lautete: Habt nichts mit den Israelis zu tun! In der Folge galt kein Ort in Kairo mehr als sicher, und der Tourismus in Ägypten kam beinahe zum Erliegen, jedenfalls für eine Weile.

Aber jetzt waren die Touristenmassen wieder da. Sie dachten nicht an Terroranschläge, sie dachten daran, wie sie einen schönen Paschminaschal zum Sonderpreis erstehen konnten, ohne dass ihnen während des Feilschens die Brieftasche abhandenkam. Der Tourist, der sich auf den Khan begibt und anschließend nur das Geld los ist, das er für seine „Schnäppchen“ ausgegeben hat, darf sich glücklich schätzen, denn hier kaufen die Armen von Kairo ein, in deren Reihen sich einige der geschicktesten Taschendiebe der Welt finden. Und nur Einheimische mit Hornhaut in der Nase können den Gestank längere Zeit ertragen. Die meisten der Waren sind gebraucht, etliche gestohlen, aber dafür so unglaublich billig, dass die Kunden, Einheimische wie Touristen, tapfer alles Ungemach ertragen. Nicht selten fliegen die Fäuste, und jeder sucht sich, fleißig von seinen Ellbogen Gebrauch machend, seinen eigenen Weg durch das Chaos der Waren, Tier-und Menschenleiber, um ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen.

Das heillose Durcheinander ist – gerade so wie der Autoverkehr in der Innenstadt, wo acht Wagenschlangen sich auf drei Spuren quetschen – ein Spiegel des Lebens in Kairo. Weder die Fahrer auf den Straßen noch die Fußgänger auf diesem Markt haben es wirklich in der Hand, wo sie schließlich landen werden.

Das Unterhaltungsprogramm des Marktes ist nicht weniger bizarr als sein Warenangebot. Feuerschlucker und Zauberer wetteifern mit Kartentrickkünstlern und Glasschluckern um die Gunst des Publikums. Menschen in ausländischer Kleidung schlendern scheinbar ziellos zwischen den Tausenden muslimischer Männer und Frauen herum, die wie verrückt einkaufen, bevor die Freitagsgebete in den Moscheen den Handel für den Rest des Tages beenden.

Eine verschleierte Frau und ein Junggeselle

Was wollte Kamal hier in diesem freitäglichen Marktchaos? Normalerweise kam er nur, wenn es sich gar nicht umgehen ließ, und selbst dann mied er das Zentrum des Marktes und benutzte einen der etwas ruhigeren Seiteneingänge. Doch an diesem besonderen Freitag war er hier, weil Gott ihn geschickt hatte. Er wusste ohne Wenn und Aber, dass Gott hier einen Auftrag für ihn hatte. Worin dieser Auftrag bestand, wusste Kamal nicht, aber er war es gewohnt, Gott blind zu vertrauen.

Als der Markt um 8 Uhr morgens öffnete, war Kamal da. Er hatte kurz dem Impuls widerstanden, statt des Zentralmarktes die relativ ruhigen Randbezirke aufzusuchen, wo er sich lieber aufhielt (falls einem bei diesem Markt irgendetwas „lieber“ sein konnte). Er hatte ganz Gottes innerer Stimme gehorcht, bis er in dem Strudel der Leiber und Ellbogen stand und wartete. Wartete – ja, auf was eigentlich?

Dass jemand Kamal in diesem Gewühle bemerkte, war nicht weiter überraschend. Seine Freunde finden, dass er der freundlichste Mensch in ganz Ägypten ist. Sein Lächeln reicht einen Häuserblock weit, und seine großen, grünen Augen sind unvergesslich. Jede Zelle seines Körpers strahlt Freude aus, und jeder mag ihn sofort. Als die Geheimpolizei ihn verhaftete, weil er unter Muslimen evangelisiert hatte, und stundenlang verhörte, beendeten die Beamten das Verhör damit, dass sie ihm „für seinen Besuch“ dankten …

Kamal liebt Jesus von ganzem Herzen und ist ein bemerkenswerter Beter. Ihm beim Beten zuzuhören, das ist, als wäre man im Himmel. Ein Mann, der Kamal das erste Mal beten hörte, war so überwältigt von seiner Liebe zu Gott, dass er anschließend mehrere Minuten sprachlos dasaß.

Eine von Kamals Eigenarten ist sein ausgeprägter Wunsch zu heiraten, und es gibt niemanden, dem er diese Sehnsucht länger als 5 Minuten vorenthalten würde. Noch eine weitere Eigenschaft hilft, ihn in einer Menschenmenge zu erkennen: Kamal hat Übergewicht (aber „daran arbeite ich gerade“). Doch in dem Augenblick, als Noor, eine gläubige Muslimin und Mutter von acht Kindern, ihn auf dem Khan entdeckte, waren diese Eigenschaften nicht von Bedeutung.

„Jesus ging mit mir am Ufer eines Sees entlang und sagte mir, wie sehr er mich liebt.“ Die Frau in Schwarz berichtete Kamal von dem eindrücklichen Traum, den sie in der letzten Nacht gehabt hatte. „Ich glaube, mein Mann hat mich früher einmal geliebt. Aber die Liebe, die ich in diesem Traum spürte – seine Liebe –, so etwas habe ich noch nie erlebt. So einen Frieden im Herzen habe ich noch nie gespürt. Ich wollte einfach nicht mehr weggehen. Ich wollte nicht, dass er wieder ging. So fragte ich diesen Jesus: ‚Warum besuchst du mich, eine arme muslimische Mutter mit acht Kindern?‘ Und er sagte nur: ‚Ich liebe dich, Noor. Ich habe alles für dich gegeben. Ich bin für dich gestorben.‘ “

Kamal hörte den Lärm des Marktes nicht mehr. Er hörte nur noch Noor, wie sie ihm ihre alles Irdische übersteigende Begegnung mit Jesus Christus beschrieb.

„Als er sich umdrehte, um zu gehen, sagte Jesus als Letztes: ‚Frage morgen meinen Freund nach mir. Er wird dir alles sagen, was du brauchst, um zu verstehen, warum ich dich besucht habe.‘ – ‚Aber, Jesus, wer ist dein Freund?‘, bat ich in meinem Traum. Da zeigte Jesus hinter uns. ‚Dort steht er! Er war die ganze Zeit während unseres Gesprächs bei uns.‘ “

Den Kopf nur teilweise verhüllt, starrte Noor Kamal an, als habe sie ihn ihr ganzes Leben lang gesucht. Sie fuhr fort: „Bevor Jesus das sagte, hatte ich dich nicht bemerkt. Aber du warst den ganzen Traum hindurch in der Nähe gewesen. Du warst mit uns um den See herumgelaufen, aber ich hatte nur Jesus gesehen. Ich dachte, ich sei allein mit ihm. Sein Gesicht war herrlich; ich konnte mich nicht sattsehen an ihm.

Jesus sagte mir nicht, wie du heißt, aber du trugst dieselben Kleider wie jetzt, auch dieselbe Brille. In meinem Traum strahlte dein Gesicht so, dass ich wusste, dass Jesus dein Freund war. Ich wusste: Dein Lächeln würde ich nie vergessen.“

Kamal führte Noor heraus aus dem größten Gewühl an den Rand des Marktes, wo ein einsamer Baum stand. Die beiden setzten sich auf das dürftige Gras unter ihm, dann sagte Kamal: „Noor, ich heiße Kamal und folge Jesus nach. Seit zehn Jahren liebe ich ihn mit ungeteiltem Herzen, und es ist mir eine Ehre, dass ich in deinem Traum dabei sein durfte.“

Noor starrte in Kamals grüne Augen, von seinen Worten gefesselt. Kamal fuhr fort: „Jesus ist dabei, überall in der Welt die Herzen von Muslimen anzurühren. Er ruft sie zur Erlösung – zur wahren Erlösung –, indem er ihnen einzeln in Träumen und Visionen begegnet.“ Er unterbrach sich. „War dies dein erster Traum von Jesus?“

Noor erwiderte, Hoffnung in den Augen: „Ja. Werde ich noch mehr Träume haben?“

Kamal wog vorsichtig seine Antwort ab: „Vielleicht. Vielleicht sogar viele. Es hängt ganz davon ab, was er mit dir vorhat. Es könnte auch sein, dass ein Traum genügt.“ Er fragte sich unwillkürlich, was Gottes Pläne mit dieser Frau waren. „Du hast bestimmt viele Fragen.“

„Mindestens tausend!“, stieß Noor hervor.

„Können wir uns hier unterhalten?“

Noor hörte die Frage hinter der Frage heraus. „Mein Mann ist auf der Arbeit, und ich bin ihm schon lange egal. Ich bin seine dritte Frau, und letztes Jahr hat er sich die vierte genommen. Sie ist sehr jung, und er denkt nur noch an ihre glatte Haut, ihr schönes Gesicht und ihre Kurven. Ich kriege ihn kaum noch zu Gesicht, der sucht mich nicht.“ Der Schmerz überschattete für einen Moment ihr Gesicht, doch dann gewann wieder das Staunen die Oberhand. „Wir sind hier in Sicherheit. Erzähle mir von Jesus!“

„Er ruft dich, Noor“, sagte Kamal langsam. „Er macht keine Zufallsbesuche. Dein Traum hat einen Sinn, der dich innerlich verwandeln wird.“ Er musterte sie; verstand sie ihn auch? „Jesus möchte, dass du ihm nachfolgst. Du bist eine der Glücklichen, die er persönlich besucht hat. Er hat dich erwählt, Noor. Schon vor deiner Geburt hat er diese Begegnung mit dir geplant.“ Kamal betrachtete die Menschenmassen, dann sah er wieder Noor an. „Zu mir ist er noch nie so gekommen, aber ich bete darum, dass er es eines Tages tut.“

Noor spürte in Kamals Stimme eine Autorität, der sie vertrauen konnte. Sie holte tief Luft und formulierte ihre erste Frage: „Wie kommt ein Prophet dazu zu sagen, er ist für mich gestorben? Ich glaube ja an ihn, wir Muslime respektieren ihn.“ Sie schaute an Kamal vorbei und schüttelte langsam den Kopf. „Aber er scheint viel mehr zu sein, als ich dachte. Als Jesus neben mir ging in dem Traum – so bin ich noch nie geliebt worden. Ich hatte gar keine Angst.“ Sie sah Kamal wieder an. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich nicht geschämt.“ Ihre Stimme sank zu einem Flüstern. „Obwohl er ein Mann war, fühlte ich mich nicht eingeschüchtert oder bedroht. Ich hatte … Frieden.“ Sie lächelte.

Würde er Noor verprellen, wenn er anfing, über den Islam zu reden? Aber er musste es wohl versuchen. „Ja, das möchte er dir geben, Noor, Frieden. Bevor er ans Kreuz ging, sagte Jesus seinen Jüngern: ‚Meinen Frieden gebe ich euch.‘2 So einen Frieden findest du bei keinem anderen; den bietet uns nur Jesus.

Du hast dein ganzes Leben lang Gott durch die Religion gesucht. Ich auch. Meine Religion war eine andere als deine, aber am Ende laufen alle Religionen auf dasselbe hinaus: die große Enttäuschung. Sie sind voll von menschengemachten Regeln, die einen zu Gott bringen sollen. Aber in Wahrheit tun sie das nicht.“

Noors Augen verrieten ihm, dass sie diese schmerzliche Wahrheit begriff.

„Fühlst du dich manchmal auch so frustriert, Noor?“

„Ja, doch. Jeden Tag.“

„Und hast du einmal die Menschen beobachtet, wenn sie aus dem Gottesdienst kommen?“ Kamal fuhr fort, ohne auf ihre Antwort zu warten: „Ich habe freitags vor der Al-Azhar-Moschee gesessen und zugeschaut, wie die ‚Gläubigen‘ aus dem Mittagsgebet kommen. Nie sehen sie glücklich aus oder erfüllt. Sie haben nicht diesen Frieden, den ich gerade auf deinem Gesicht sehe. Den kann einem keine Religion geben, auch nicht deine.“

Er ließ die Worte in ihre Seele sinken.

Noors Blick wirkte irritiert. Mit leicht zusammengebissenen Zähnen musterte sie Kamals Gesicht. Sie schaute kurz zu Boden, dann sah sie ihn ernst an. „Verlangst du von mir, dass ich … den Islam verlasse?“

Da war es, das Minenfeld. „Ich verlange gar nichts, Noor. Aber Jesus verlangt von dir, dass du ihm nachfolgst.“ Die Aufrichtigkeit in seinen tiefen, jadegrünen Augen unterstrich seine Worte. „Glaubst du, dass dein Traum echt war?“

Noors Schultern und ihr ganzer Körper entspannten sich. Sie schaute zu Boden. „Er war echt, das weiß ich. Er hat mich bis ins Innerste erschüttert. Ich muss mehr über ihn erfahren – wirklich alles.“

„Dann versuche ich mein Bestes, alle deine Fragen zu beantworten.“

Drei Stunden später saßen Kamal und Noor immer noch auf ihrer kleinen Grasinsel, in ihr Gespräch vertieft. Schließlich warf Noor den Kopf zurück und atmete tief aus, zufrieden über den Fortschritt, den sie gemacht hatten, aber erschöpft von all dem Neuen, Merkwürdigen, das sie da gehört hatte. „Was mache ich nur mit dem, was ich heute alles gelernt habe? Wenn ich mein Leben Jesus gebe und innen drin neu werde, bin ich dann immer noch eine Muslimin?“

Kamal antwortete nicht.

Plötzlich setzte Noor sich auf, den Rücken gerade. Ihre Stimme klang entschlossen. „Also, ich bin bereit. Ich will Jesus nachfolgen.“

„Bist du bereit, für Jesus verfolgt zu werden?“ Kamal staunte selbst über seine Frage.

Noor saß still da.

Kamals nächste Frage war noch unerwarteter. „Bist du bereit, für ihn zu sterben?“

Noor schien die Frage weniger zu schockieren als Kamal selbst. „Möchte er, dass ich das tue?“ Sie sprach das so nüchtern aus, als ob es darum ginge, für Jesus Weintrauben auf dem Markt zu kaufen.

Jetzt war es Kamal, der auf die Menge starrte. Was für eine Zukunft diese tapfere Frau wohl haben mochte? „Das könnte auf dich zukommen, Noor. In der Nacht, in der Jesus verhaftet wurde, sagte er seinen Jüngern, dass auf alle, die ihm nachfolgen, harte Verfolgungen warten.“ Er schaute Noor wieder an. „Es ist unser Vorrecht, so zu leiden wie er. Jesus hat gesagt: ‚Es wird so weit kommen, dass man meint, Gott einen Dienst zu erweisen, wenn man euch tötet.‘ “

Noor seufzte. „Als er das sagte, hat er bestimmt den Islam gemeint. Genau das passiert ja Muslimen, die eine andere Religion annehmen.“ Sie faltete die Hände und drückte sie auf den Boden. „Ich muss dir etwas sagen, Kamal. Vor einem Monat habe ich etwas im Fernsehen gesehen. Vater Zakaria (ein koptischer Priester; d. Übers.) sprach über Jesus, und ein paar Zuschauer riefen während der Sendung an, um mit ihm zu diskutieren. Er schlug sich gut, aber ich war völlig überrascht, denn die meisten erzählten ihm, wie Jesus ihr Leben verändert hatte. Ich traute meinen Ohren nicht. Das waren Muslime! Ich musste denken: Wenn die den Islam verlassen haben, leben sie nicht mehr lange, dafür werden schon ihre Familien sorgen. Du kennst doch das mit den Ehrenmorden, oder?“

Sie schauten einander ein paar Sekunden schweigend an. Dann nickte Noor, als ihr ein neuer Gedanke kam. „Jesus hat das vorausgesehen, oder?“

„Ich glaube schon“, erwiderte Kamal ruhig.

Noor atmete ein und wieder aus und schaute einem vorbeieilenden Käufer hinterher. „Also, Angst hab ich nicht. Aber … ich muss darüber mal nachdenken, in einer Moschee oder sonst irgendwo, wo ich allein bin. Ich muss beten. Und was ist mit meinen Kindern? Das ist alles so neu. Ich …“

Kamal lächelte genau so, wie Noor es in ihrem Traum gesehen hatte. „Das versteh ich. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen, Noor, und du solltest es auch nicht! Jesus hat dir ein wunderbares Angebot gemacht, du brauchst es nur anzunehmen. Er ruft dich. Ich werde für dich beten. Bis wir uns wiedersehen.“

Das Land, in dem Träume wahr werden

Noors Traum öffnete die Tür ihres Herzens und bereitete sie darauf vor, eines Tages die Erlösung in Jesus anzunehmen. Wir staunen über diesen Traum, aber Ägypten und Träume – das gehörte schon seit dem ersten Buch der Bibel zusammen. Einige Männer Gottes im Alten Testament hatten Träume und Visionen: Jesaja, Daniel, Hesekiel und andere. Aber auch bei heidnischen Pharaonen finden wir Träume und Visionen.

Ägyptens Annalen wissen viel über Träume und Visionen zu berichten, die oft den Gang der Geschicke des Landes entscheidend prägten. Botschaften „aus dem Jenseits“ genossen eine solche Verehrung, dass sie nicht selten über die Pläne und Strategien der Pharaonen mitentschieden. Wenn es etwa um das Führen eines Krieges oder den Bau eines Tempels für einen neuen Gott ging, nahmen sie regelmäßig die Dienste ihrer Traumdeuter in Anspruch. Die Botschaften der Götter galten als genaue Zukunftsvorhersagen. Träume verachtete man nicht, ja oft hielten die königlichen Schreiber sie schriftlich fest, als Absicherung für die Entscheidungen des Pharaos in kritischen Augenblicken des Reiches.

Archäologische Ausgrabungen bei den Pyramiden ergaben, dass ein alter ägyptischer Chronist namens Kenhirkhopeshef eine als Traumbuch bezeichnete Papyrusschrift führte. Das Buch enthält 108 Träume und die mit ihnen verbundenen Aktivitäten und Emotionen. Die Vielzahl der alten ägyptischen Dialekte, in denen das Buch verfasst ist, zeigt, dass es offenbar durch Generationen hindurch weitergegeben wurde.

Die Traumdeutungen im Traumbuch sind äußerst subjektiv. Ähnliche, aber zu verschiedenen Zeiten erfolgte Träume werden sehr unterschiedlich gedeutet. In manchen Träumen geht es um Probleme des Alltags wie finanziellen Gewinn und Verlust, Fasten und Prassen, Tratsch und Klatsch, Vergnügungen und moralische Grundsätze. Besonders faszinierend an dem Buch ist seine Zweiteilung in „gute“ und „schlechte“ Träume (Letztere sind mit roter Tinte geschrieben!). Die alten Ägypter glaubten, dass die Götter die Herzen und Beweggründe der Menschen beurteilen konnten und dass Träume eine Art waren, wie Götter ihre Launen kundtaten. Waren sie zufrieden oder unzufrieden mit dem Verhalten der Ägypter? Und was wartete auf den Einzelnen nach dem Tod, in der Ewigkeit? Die Ägypter waren zwar auf der richtigen religiösen Fährte, aber sie hatten die falschen Götter. Wie kein anderes Volk ist Ägypten von Träumen und Visionen inspiriert worden.

Da wundert es nicht, dass der Gott Israels dem Pharao Träume schickte, als Josef in einem ägyptischen Gefängnis saß. Diese Träume ließen im ganzen Palast die Alarmglocken schrillen, die erst wieder schwiegen, als der Pharao ihre Bedeutung ergründet hatte. Priester, Magier und Weise standen dem Pharao jederzeit als Traumdeuter zur Verfügung, aber diesmal sprach Gott nur durch Josef; alle anderen Traumspezialisten erwiesen sich als Scharlatane und Nichtskönner. Kein Wunder, dass Josef der Karrieresprung vom Häftling zum „Premierminister“ gelang. Schon bevor seine Brüder ihn verkauften, hatte er um die Macht, aber auch um die Gefahren der Träume gewusst.

Träume und die Sphinx

Kürzlich besuchten mein Sohn John Mark und ich die Pyramiden in Gizeh. Diese gewaltigen Monumente liegen am Stadtrand von Kairo, und wer die Taxifahrt dorthin überlebt, wird nicht enttäuscht. (Als Fahrgast in einem ägyptischen Taxi wird man von dem Augenblick an, wo das Taxi losfährt, zum größten Beter aller Zeiten.)

Dort bei den Pyramiden befindet sich auch die Sphinx. Sie wurde um 2.500 v. Chr. erbaut, etwa 700 Jahre, bevor Josef nach Ägypten kam, und 1.100 Jahre vor der Zeit Moses. Der Wind, feuchte Winter und heißtrockene Sommer sowie der Kairoer Smog haben dem riesigen Fabelwesen mit dem Kopf eines Menschen und dem Leib eines Löwen arg zugesetzt. Dass es überhaupt so viele Jahrhunderte überdauert hat, liegt auch daran, dass es fast tausend Jahre lang unter Sand begraben lag – bis Pharao Thutmosis IV. einen Traum hatte.

Thutmosis war als junger Prinz in der Nähe der Sphinx auf der Jagd, als er in der Mittagshitze in dem Schatten des kleinen Teils der Skulptur, der aus dem Sand herausschaute, einschlief. Während er schlief, erschien ihm der Gott Harmachis und befahl ihm, die Sphinx von dem Sand, der sie zu ersticken drohte, zu befreien. Er würde dann mit der Krone Oberund Unterägyptens belohnt werden. Der junge Prinz ließ den Sand forträumen und wurde bald König über ganz Ägypten.

Thutmosis IV. war einer der gefürchtetsten Könige der 18. Dynastie und für seine Blutrünstigkeit bekannt. Zur Erinnerung an seinen Traum und zur Legitimation seiner Herrschaft ließ er zwischen den Vordertatzen der Sphinx eine Stele errichten, auf der seine Geschichte erzählt wird. Diese „Traumstele“ ist heute noch da und für ihr Alter (etwa 3.400 Jahre) überaus gut erhalten.

Interessanterweise konnte niemand prüfen, ob Thutmosis den Traum tatsächlich gehabt hat; wir haben nur sein eigenes Wort, und dieses wurde die Basis für seine Herrschaft.

In einem Land mit solcher Tradition achten Menschen noch heute auf ihre Träume. Und Nachfolger von Jesus wie Kamal sind die Josefs von heute, die Gott als seine Traumdeuter gebraucht. Der Bedarf an Menschen, die Träume richtig deuten können, ist so groß, dass kürzlich in der Cairo Times folgende Anzeige erschien: „Haben Sie im Traum einen Mann in einem weißen Gewand gesehen? Dann rufen Sie an unter der Nummer …“

Ja, die Macht der Träume in Ägypten!

2. Der Imam und die Pistole

Was meinen Sie: Welche Muslime sind am schwierigsten mit dem Evangelium zu erreichen? Vielleicht Islamisten? Wer bereit ist, sich selbst in die Luft zu sprengen, um „Ungläubige“ zu töten, muss doch wohl fanatisch sein, oder?

Das klingt plausibel, aber ich kenne in jedem Land des Nahen Ostens ehemalige Terroristen, die heute Jesus nachfolgen. Mit vielen von ihnen arbeiten wir zusammen, um andere Muslime mit dem Evangelium zu erreichen. Es sind Jünger von Jesus, deren Herzen radikal verändert wurden. Der Heilige Geist wirkt so stark in ihrem Leben, dass Sie, wenn Sie sie sehen könnten, absolut nichts von ihrer dunklen Vergangenheit ahnen würden. Sie sind anschauliche Beweise der Macht Christi, Menschenherzen regelrecht umzukrempeln.

In der Tat, Selbstmordattentäter sind „harte Nüsse“ für das Evangelium. Aber die allerschwierigsten Fälle sind meines Erachtens die Imame. Ein Imam ist sozusagen der „Pastor“ einer Moschee, dessen Aufgabe darin besteht, seine „Schafe“ bei der Stange zu halten. Von Kopf bis Fuß von der muslimischen Lehre und Propaganda geprägt, verstehen sich die Imame als die Wächter ihrer Religion, die sie um jeden Preis zu verteidigen haben. Immer wieder ist dieser Preis das Leben eines „Unglücklichen“, der es gewagt hat, Christ zu werden und dafür bezahlen muss. Viele Imame, mit denen man über Christus zu reden versucht, reagieren aggressiv und arrogant. Natürlich gibt es auch umgänglichere Imame, doch die meisten kultivieren jene harsche Strenge, die nötig ist, um ihre muslimischen Gläubigen gefügig zu halten.

Die meisten Imame werden gefürchtet wegen der großen Macht, die sie in der Gesellschaft haben. In Ländern, wo die Scharia herrscht, liegt die Vollzugsgewalt in den Händen der Religionspolizei und der Imame. Muslime, die zum Glauben an Christus gekommen sind, vergleichen die Imame oft mit den Pharisäern zur Zeit Jesu. Falls Sie nicht recht wissen, wie Sie sich einen Imam vorstellen sollen, denken Sie einfach an einen Pharisäer mit einem Koran in der Hand.

In Ägypten trifft man schier an jeder Straßenecke auf einen Imam, und das hat seine Gründe. Ägypten ist das intellektuelle Zentrum des Islams. Ein Imam, der an der Al-Azhar-Universität studiert hat (sie liegt gleich um die Ecke von dem Markt, wo Kamal Noor traf), ist in der ganzen islamischen Welt hochgeachtet. Die Al-Azhar wurde 970 gegründet und versteht sich als das weltweite Zentrum der arabischen Literatur und sunnitischen Gelehrsamkeit. Mag Saudi-Arabien mit Mekka und Medina die beiden heiligsten Stätten des Islams haben – was dieser Religion ihre Gestalt gibt, ist Ägypten. Saudi-Arabien ist das Herz des Islams, aber Ägypten ist sein Kopf. Es ist genau der richtige Ort für einen Besuch von Jesus!

Nächtlicher Überfall

Hassan schreckte hoch. Eine Hand presste sich grob auf seinen Mund. Und was war das Kalte an seiner rechten Schläfe? Die Mündung einer Pistole. Sein Herz begann zu rasen.

„Still, kein Mucks!“, flüsterte der Unbekannte im Dunkeln. „Steh auf und komm mit.“

Mehrere Minuten lang rieb Hassan sich den Schlaf aus den Augen, während sein Kidnapper ihn durch die dunklen Straßen der Kairoer Altstadt schob. Jetzt war es also so weit. Hassan hatte sich alle Mühe gegeben, beim Evangelisieren vorsichtig zu sein und die Leute nur einzeln anzusprechen. Aber jetzt war man ihm auf die Schliche gekommen. Für die Mission unter Muslimen ist Kairo einer der gefährlichsten Orte der Welt.

Vor zwei Jahren war Hassan in dieses Viertel der Altstadt gezogen. Er hatte eine Gabe dafür, Gespräche mit muslimischen Freunden auf Jesus hinzulenken, aber in diesem Viertel hatte er noch keine einzige Bekehrung erlebt, obwohl er sich täglich Mühe gab.

Den Lauf der Pistole im Rücken, stolperte Hassan die menschenleeren Gassen entlang. Innerlich schrie er zu Gott: Ist keiner wach, der mir helfen kann? Aber zwei Stunden vor dem ersten Gebetsruf des Muezzin schlief Kairo noch. Und selbst, wenn nicht – wer hatte schon Mitleid mit einem Christen, der von einem Imam abgeführt wurde? Die Leute würden einfach denken (ähnlich wie Hassan gerade selbst), dass er auf dem Weg zu seiner wohlverdienten Hinrichtung war.

Die grobe Hand an Hassans rechtem Arm trieb ihn unablässig an. Dann und wann zog sie ihn abrupt nach rechts oder links. Hassans Gedanken wanderten zu seiner Aufgabe hier in Kairo, die jetzt so schnell ihrem Ende entgegenging. Jahrelang hatte er den Islam studiert, hatte den Koran auswendig gelernt, die Hadithe (die mehrere Jahrhunderte nach Mohammeds Tod gesammelten Aussprüche des Propheten) und die Lehren der führenden islamischen Theologen – alles mit dem einen Ziel, die Feinde des Evangeliums verstehen zu lernen, die Gott hoffentlich zu seinen Brüdern und Schwestern in Christus machen würde. Gott hatte Hassan eine Leidenschaft für die Muslime ins Herz gegeben – aber was zählten all diese Vorbereitungen noch, jetzt, da er bald der nächste ägyptische Märtyrer sein würde?

„Hier rauf.“ Die raue Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Wie waren sie ihm nur auf die Schliche gekommen? Hatte ihn jemand verraten?

Das Blut pulsierte kräftig in seinen Adern – von der Angst und von den fünf Stockwerken, die er gerade mit seinem Entführer über die Hintertreppe eines alten Gemäuers hinaufgestiegen war.

„Wir müssen von diesem Dach auf das da drüben springen, das ist der einzige Weg.“

Zum ersten Mal, seit sie seine Wohnung verlassen hatten, schaute Hassan direkt in das Gesicht seines Entführers. Erst jetzt merkte er, dass es geschwärzt war, um die Gesichtszüge zu kaschieren. Er schaute kurz zu dem gähnenden Abgrund hin, auf den der Lauf der Waffe wies, dann wieder in die durchdringenden Augen in dem geschwärzten Gesicht.

„So weit springen kann ich nicht“, platzte es aus Hassan heraus.