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DIETRICH BONHOEFFER

Die Psalmen

Das Gebetbuch der Bibel

Mit einer Einführung und
einer Kurzbiografie Bonhoeffers
herausgegeben von Peter Zimmerling

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Brunnen Verlag Gießen
21. Auflage 2016
Umschlagmotiv: Shutterstock
Umschlaggestaltung: Celia Friedland
Satz: DTP Brunnen
ISBN 978-3-7655-7391-0

Inhalt

Zu dieser Ausgabe

Einführung

Psalm 23

„Herr, lehre uns beten!“

Im Namen Jesu beten lernen

Die Beter der Psalmen

Namen, Musik, Versgestalt

Der Gottesdienst und die Psalmen

Einteilung

Die Schöpfung

Psalm 8

Das Gesetz

Die Heilsgeschichte

Psalm 105,1-15

Der Messias

Psalm 22,1-22

Die Kirche

Psalm 27

Das Leben

Das Leiden

Psalm 31,1-17

Die Schuld

Psalm 51,1-14

Die Feinde

Psalm 5

Das Ende

Psalm 90

Bitte um den Geist des Lebens

Der Segen des Morgengebets

Psalm 103

Stationen auf dem Wege zur Freiheit – Dietrich Bonhoeffers Leben

Anmerkungen

Zu dieser Ausgabe

Dietrich Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis hingerichtet. 2015 waren es 70 Jahre, dass dieses Verbrechen geschah. Nach 70 Jahren werden die Bücher eines Verstorbenen „gemeinfrei“. Das schien dem Brunnen Verlag und mir eine gute Gelegenheit, vier zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Bücher Bonhoeffers neu herauszugeben: „Das Gebetbuch der Bibel“, „Gemeinsames Leben“, „Nachfolge“, „Schöpfung und Fall“. Durch sie ist er schon zu seinen Lebzeiten einer größeren Lesergemeinde bekannt geworden. Alle vier Bücher sind nach den beiden wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten, der Dissertation „Sanctorum Communio“ und der Habilitation „Akt und Sein“, erschienen. Zwischen diesen beiden ersten und den vier folgenden Büchern liegt Bonhoeffers Hinwendung zu einem persönlichen Christusglauben. Wesentliche Anstöße dazu erhielt er während eines Studienaufenthalts in New York 1930/1931. Seitdem führte er ein geregeltes geistliches Leben, das die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst einschloss. Bemerkenswerterweise wirkte sich die spirituelle Wende auf die Sprache seiner Bücher aus: Bonhoeffer verzichtet fortan auf den üblichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat und bedient sich einer auch dem theologischen Laien verständlichen Sprache.

Noch etwas anderes kommt hinzu: Als er 1935 aus dem Auslandspfarramt in London nach Deutschland zurückkehrte, um die Leitung eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche zu übernehmen, ging Bonhoeffer in die Illegalität. Staat und offizielle Kirche lehnten seine Vikarsausbildung ab. Streng genommen bekamen damit alle in der Folgezeit entwickelten theologischen Überlegungen als „Theologie der Illegalität“ einen besonderen Akzent. Das gilt gleichermaßen für die „Nachfolge“, das „Gemeinsame Leben“ und das „Gebetbuch der Bibel“. Bonhoeffer steht dabei in einer Reihe mit dem Apostel Paulus, der einen Teil seiner Briefe im Gefängnis verfasste, und dem Reformator Martin Luther, der während seiner Schutzhaft auf der Wartburg eine Reihe bedeutender Schriften, vor allem aber die Übersetzung des Neuen Testaments, anfertigte. Nirgends besser als im Ernstfall erweist sich die Tragfähigkeit theologischer Überlegungen.

Die vier Bände Bonhoeffers werden hier in der Fassung der letzten, zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Auflage abgedruckt. Ihnen ist jeweils eine Einführung vorangestellt, in der Entstehung, Eigenart, Inhalt und die Bedeutung für heute skizziert werden.

Wir möchten mit dieser Ausgabe der allgemein verständlich geschriebenen Werke gerade auch dem theologischen Laien die Lektüre Bonhoeffers ans Herz legen. Wer nach einer Vertiefung seiner eigenen Spiritualität sucht, wird in den Gedanken und dem Vorbild Bonhoeffers einen Schatz von bleibendem Wert finden, der an Aktualität bis heute nichts verloren hat.

Leipzig, im Herbst 2015
Peter Zimmerling

Einführung

Entstehung und Hintergrund

„Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen“ ist Dietrich Bonhoeffers letztes, zu seinen Lebzeiten veröffentlichtes Buch.1 Es war eine Auftragsarbeit des MBK-Verlags, Verlag für Missions- und Bibel-Kunde in Bad Salzuflen, und erschien dort 1940 als Heft 8 der Reihe „Hinein in die Schrift“. Nach dem Krieg ist das Büchlein immer wieder neu aufgelegt worden. 2014 erschien es in Kooperation mit dem MBK-Verlag Bad Salzuflen im Brunnen Verlag Gießen in der 20. Auflage. Der Verlag in Bad Salzuflen gehörte den Mädchenbibelkreisen. Es war klar, dass Bonhoeffer deshalb in einer auch für junge gebildete Laien verständlichen Sprache formulieren musste. Beim Vergleich mit seiner Dissertation und Habilitation fällt auf, dass er, wie schon in der „Nachfolge“ und im „Gemeinsamen Leben“, sich eines neuen Sprachduktus bedient: Er schreibt nicht länger für andere wissenschaftliche Theologen, sondern für die christliche Gemeinde.

Die genaue Entstehungszeit des Buches lässt sich nicht angeben, zumal das Manuskript nicht erhalten geblieben ist. Da Bonhoeffer sich jedoch während der Zeit des letzten Kurses der Sammelvikariate in Hinterpommern intensiv mit der Auslegung von Psalm 119 beschäftigte,2 ist zu vermuten, dass er die Schrift über die Psalmen Anfang 1940 verfasst hat. Im März 1941 erhielt Bonhoeffer Schreib- und Publikationsverbot.3 Bereits im September 1940 hatte er erfahren, dass ein Reichsredeverbot wegen „volkszersetzender Tätigkeit“ über ihn verhängt worden war.4

Bonhoeffer hat sich kontinuierlich mit den Psalmen befasst. Er liebte die Psalmen-Vertonungen von Heinrich Schütz. Im Sommer 1935 referierte er vor dem ersten Vikarskurs im Predigerseminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde bei Stettin über „Christus in den Psalmen“.5 Die Bibelarbeit über „König David“, die er am gleichen Ort im Oktober desselben Jahres hielt, steht inhaltlich dazu in engem Zusammenhang.6 Bonhoeffer will zeigen, dass Christus bereits in David präsent war und daher die Davidspsalmen Christusworte sind. Aus dem Gefängnis schreibt Bonhoeffer an seinen theologischen Freund und Gesprächspartner Eberhard Bethge, dass sich die Psalmen als geistliches Grundnahrungsmittel in schwierigen Zeiten für ihn bewährt hätten.7

Eigenart

„Die Psalmen. Das Gebetbuch der Bibel“ ist in der Zeit entstanden, als Bonhoeffer im Dienst der Bekennenden Kirche eines ihrer illegalen Predigerseminare leitete. Die Durchsicht der Lehrveranstaltungen in Finkenwalde und in den Sammelvikariaten zeigt, dass die Auslegung des Neuen und Alten Testaments dabei im Zentrum stand. Das war nicht nur für einen systematischen Theologen wie Bonhoeffer ungewöhnlich, sondern fällt auch aus dem Rahmen des Fächerkanons in den herkömmlichen Predigerseminaren. Die Orientierung von Bonhoeffers Praktischer Theologie an der Bibel wird jedoch von seinem theologischen Ansatz her verständlich. Karl Barths Wort-Gottes-Theologie hatte ihm dabei die Initialzündung vermittelt. Ebenso wichtig war, dass sich die Bibel während des Dritten Reiches in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen als Quelle und Norm schwieriger Entscheidungen bewährte. Dadurch kam es in Finkenwalde zu einer Neuentdeckung des theologischen Erkenntnisprinzips der Reformation „allein die Schrift“ – „sola scriptura“. Für alle Beteiligten war verblüffend: Mitten im 20. Jahrhundert – in den Auseinandersetzungen mit Deutschen Christen und Nationalsozialisten – erwies sich das grundlegende Erkenntnisprinzip der Reformation des 16. Jahrhunderts als bestürzend aktuell. Es verwandelte sich vor aller Augen plötzlich von einer verstaubten und abstrakten theologischen Formel aus dem Reformationsmuseum zu einer kraftvollen, inspirierenden und unentbehrlichen Orientierungshilfe der kirchlichen Gegenwart.

Die von Bonhoeffer in Finkenwalde praktizierte und gelehrte Schriftauslegung unterschied sich grundlegend von der an den Universitäten damals vorherrschenden Auslegungspraxis. Es war eine primär theologisch geprägte Schriftauslegung, die die Frage nach der „Sache“ der biblischen Texte – auch hier in den Bahnen von Barths Anliegen – in den Vordergrund stellte.8 Dahinter traten die historisch geprägten Fragestellungen der historisch-kritischen Bibelauslegung mehr oder weniger stark zurück. Das wird schon an Bonhoeffers Erstlingswerk auf diesem Gebiet, „Schöpfung und Fall“, ausdrücklich mit dem Untertitel „Theologische Auslegung von Genesis 1–3“, sichtbar.9 Diese Ausrichtung zeigen seine Bibelarbeiten wie die schon erwähnte über „König David“. Das Gleiche gilt für „Das Gebetbuch der Bibel. Eine Einführung in die Psalmen“.

Rechenschaft über seine Art der Schriftauslegung hat Bonhoeffer vor allem in seinem Vortrag „Vergegenwärtigung neutestamentlicher Texte“10 gegeben: Danach hat sich nicht der Bibeltext vor dem vermeintlich fortgeschrittenen Geist der Gegenwart zu verantworten, sondern die Gegenwart mit ihren Selbstverständlichkeiten muss sich von den biblischen Aussagen kritisch hinterfragen lassen.

Immer wieder ist – schon zu seinen Lebzeiten – Bonhoeffers Schriftgebrauch als „biblizistisch“ und „vormodern“ kritisiert worden.11 Eine gründliche Untersuchung seines Schriftverständnisses steht noch aus und ist hier nicht das Thema.12 Wenn man seiner Schriftauslegung schon ein Adjektiv beifügen wollte, sollte man aber besser von einer „nachmodernen“ Bibelauslegung sprechen. Bonhoeffer lehnt ja nicht die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese pauschal ab, sondern versucht, auf dem Weg ihrer kritischen Überprüfung einen Schritt weiterzukommen und nicht bei der philologischen und historischen Auslegung stehen zu bleiben, und fragt, was die Bibeltexte für den heute gelebten Glauben in seinen unterschiedlichen Bezügen zu sagen haben.

Für Bonhoeffers Buch über die Psalmen ist eine dezidiert auf Christus bezogene Auslegung charakteristisch. Die christologische Auslegung des Alten Testaments war für die ganze Bekennende Kirche typisch.13