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Eberhard Troeger

Der Islam und die Gewalt

Kapitel 2, 6, 9, 11, 12 wurden leicht überarbeitet und aktualisiert entnommen aus: E. Troeger, Der Islam bei uns, Gießen 2007.

© 2016 Brunnen Verlag Gießen

www.brunnen-verlag.de

Umschlagfoto: picture alliance/dpa; Yarygin/shutterstock

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-7655-7384-2

Inhalt

Vorwort

1. Islamische Begriffe verstehen

2. Europäische Christen können den Muslimen nicht mehr ausweichen

3. Vom Prediger zum Kämpfer – das Leben Mohammeds

4. Der Kampf „um Allahs willen“ nach dem Koran

5. Richtungskämpfe innerhalb der islamischen Bewegung

6. Der muslimische Kampf für Allah und die Kreuzzüge des Mittelalters

7. Die fundamentalistische Seite des Islams

8. Kronzeugen des modernen Islamismus

9. Sind Muslime eine Bedrohung für das „Abendland“?

10. Von den ersten Radikalen zum „Islamischen Staat“

11. Warum Kritik am Islam verboten ist

12. Der Herrschaftsanspruch der muslimischen Umma – warum Christen in islamisch dominierten Ländern leiden

13. Der Ismael-Isaak-Konflikt in seiner weltgeschichtlichen Bedeutung

14. Der Unterschied zwischen christlicher Mission und muslimischer Werbung

15. Wie wirkt Gott heute unter Muslimen?

Begriffserklärungen

Literaturhinweise

Vorwort

Die Zunahme von Gewalt im Namen des Islams ist höchst beunruhigend. Die Gräueltaten des „Islamischen Staates“ und der sich zu ihm bekennenden Gruppen haben viele Menschen aufgeschreckt.

Gleichzeitig beschwichtigen Vertreter muslimischer Verbände und erklären, dass die Untaten muslimischer Djihadisten nichts mit dem Islam zu tun hätten. Islam heiße Friede und die wahren Muslime setzten sich für den Frieden ein.

Um diese Diskrepanz zwischen blutiger Realität und friedlichem Anspruch zu verstehen, ist ein Blick in die Quellen des Islams und in seine Geschichte notwendig.

Da sich die muslimische Weltgemeinschaft immer als politische Größe verstand, war für sie die Anwendung von Gewalt selbstverständlich. Die Regeln dafür diskutierten Juristen in ihren Kommentaren und maßgebliche Autoritäten bemühten sich um einen Konsens. Diese gelehrten Diskussionen geschahen aber weitgehend fern der politischen Realität. In der modernen Welt sind sie endgültig belanglos geworden.

Das Verhältnis zwischen Islam und Staat sowie zwischen Glaube und Gewalt wird im Raum des Islams heute höchst unterschiedlich gesehen.

Westliche Politiker fordern, die muslimische Weltgemeinschaft müsse dringend ihr Verhältnis zur Gewalt klären. Wissen sie, was sie damit tun? Sie fordern nichts anderes, als dass sich Muslime1 von wesentlichen Aussagen ihrer Basistexte verabschieden und ihre gesamte Geschichte einer kritischen Bewertung unterziehen. In der muslimischen Rechtswissenschaft herrschte bisher weitgehend Übereinstimmung, dass für die Rechtsfindung die späten Korantexte die eigentlich wichtigen sind: Die religiösen Passagen aus Mohammeds Zeit in Mekka sind durch die späteren, politisch und kämpferisch geprägten Aussagen von Medina abgelöst worden. Sollen sich Muslime davon nun lossagen und nur noch die frühen Texte gelten lassen? Das wäre eine Wendung um 180 Grad! Vielleicht können nur bekennende Christen diese Zumutung verstehen. Denn im Blick auf die Bibel wird ja in ähnlicher Weise argumentiert, dass viele Aussagen dem modernen Menschen nicht mehr zugemutet werden können.

Die im Westen erhobenen Forderungen sind noch aus einem anderen Grund unrealistisch. Wie sollte die muslimische Gemeinschaft denn eine Übereinstimmung erreichen? Sie kennt keine Instanzen (Konzilien, Synoden usw.), die verbindlich über Lehre und Recht beschließen könnten. Sie gleicht eher einem breiten Strom, in dem es eine Hauptströmung und viele Nebenströmungen gibt. Es hat im Laufe der Geschichte immer Gruppen und Bewegungen gegeben, die sich nicht an Mehrheitsmeinungen hielten und für sich ein Eigenrecht zur Auslegung der Quellen in Anspruch nahmen. In dieser Tradition handeln die gegenwärtigen djihadistischen und terroristischen Gruppen.

Selbstverständlich gibt es einzelne muslimische Denker, die sowohl die Quellen als auch die Frühgeschichte einer neuen Bewertung unterziehen und den Islam auf seine religiös-friedliche Komponente beschränken. Sie sehen in ihrem „amputierten Islam“ eine grundsätzlich auf Frieden bedachte Religion. Aber darüber eine Mehrheitsmeinung oder gar eine Übereinstimmung zu finden, dürfte unmöglich sein. Denn das hieße, sich von Texten zu distanzieren, die als autoritatives Wort Allahs gelten. Man würde die Basis des Islams aufgeben, wenn man sich einigte, die zur Gewalt aufrufenden Korantexte für überholt zu erklären.

In diesem Buch versuche ich, im Rückgriff auf Koran2 und Geschichte einige Schneisen zum Verständnis der gegenwärtigen Vorgänge zu schlagen. Die einzelnen Kapitel sind aus Artikeln entstanden, die ich in den letzten Jahren in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht habe. Einige Kapitel standen bereits in meinem früheren Buch „Der Islam bei uns. Ängste und Erwartungen zwischen Christen und Muslimen“ (Brunnen Verlag 2007) und wurden für den neuen Druck überarbeitet. In der grundsätzlichen Beurteilung der Vorgänge in der Welt des Islams steht das neue Buch in der Tradition meiner früheren Veröffentlichungen.

Für mich geht es bei der Beschäftigung mit muslimischer Gewaltanwendung nicht um eine theoretische Frage. Denn in vielen Ländern leiden meine christlichen Brüder und Schwestern unter der Gewalt, die im Namen des Islams ausgeübt wird. Viele mussten ihre Heimat verlassen, und nicht wenige bezahlten ihre Zugehörigkeit zur christlichen Kirche mit dem Tod.

In Europa sind wir längst keine unbeteiligten Zuschauer mehr. Vertreter eines radikalen und terroristischen Islams leben in unserer Mitte. Unter den zahlreichen Flüchtlingen, die gegenwärtig zu uns strömen, entfliehen nicht wenige muslimischer Gewalt. Ich will mit solchen Hinweisen keine Ängste schüren. Denn die Frage nach der Gewalt im Namen Allahs ist ja auch ein brennendes innermuslimisches Thema. Die meisten Menschen, die heute unter muslimischer Gewalt leiden, sind Muslime. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sowie zwischen extremistischen und moderaten Muslimen machen das deutlich. Die im Namen Allahs geübte Gewalt stößt viele Muslime ab. Nicht wenige werden am Islam irre und suchen nach einer Alternative. Es ist bemerkenswert, dass gerade in den letzten Jahrzehnten viele Muslime Christen geworden sind.

Alle Muslime, zu welcher Richtung sie auch gehören mögen, sind immer zuerst unsere Mitmenschen. Alle sind durch eine persönliche Lebensgeschichte geprägt worden. Alle kennen Freude und Schmerz, Erfolg und Versagen. Hinter propagiertem und praktiziertem Radikalismus verbergen sich oft Unsicherheit und Verzweiflung. Gerade Christen tun gut daran, sich von dem zur Schau gestellten Fanatismus nicht blenden zu lassen, sondern den Blick in die Herzen der Menschen zu suchen. Ideologien haben Macht über Menschen, können ihnen aber nicht den Frieden mit Gott schenken, den das Evangelium von Jesus Christus verheißt. Welche Untaten Menschen auch immer begehen – alle haben die Möglichkeit zur Umkehr. Das gilt auch für extremistische Muslime, wie sehr uns ihre perversen Taten auch schockieren mögen.

Eberhard Troeger

Wiehl, im Sommer 2015


1 Aus Gründen der Lesbarkeit verwende ich die herkömmliche Ausdrucksweise und gehe davon aus, dass mit „Muslimen“ immer auch „Musliminnen“ gemeint sind.

2 Wenn nicht anders vermerkt, verwende ich für die Koranzitate die Übersetzung von R. Paret (Verlag W. Kohlhammer 2001). Nur im 4. Kapitel habe ich zwei weitere Übersetzungen herangezogen. Die Übersetzer haben Texteinschübe, die zum Verständnis des oft sehr knappen arabischen Urtextes notwendig sind, in runde Klammern gesetzt. In einigen wenigen Fällen habe ich eigene Erläuterungen in eckige Klammern gesetzt.

1. Islamische Begriffe verstehen

„Der Islam gehört zu Deutschland“, meinte der ehemalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff in einer Rede am 3. Oktober 2010. Er bekam Zustimmung, aber auch viel Widerspruch. „Die Muslime gehören zu Deutschland, aber nicht der Islam“, war die Gegenmeinung. Wer hat recht?

Viele Diskussionen zum Islam leiden darunter, dass die Begriffe nicht klar sind. Ist „der Islam“ die Summe aller Muslime oder die Summe der von Muslimen vertretenen religiös-politischen Auffassungen? Ist „Deutschland“ die Summe der hier lebenden Menschen oder die Summe der hier gelebten Kulturen? Was macht angesichts dieser Pluralität Deutschland aus? Deutschland hat eine bestimmte Rechtstradition, die im Grundgesetz in seinem derzeit geltenden Text festgelegt ist. Auf diese Verfassung hat der Islam mit seiner Lehre noch keinen Einfluss. Insofern gehört der Islam (bis jetzt) nicht zu Deutschland.

Aber es gibt Nischen, in die der Islam hineinwirkt. Bei muslimischen Ausländern, die in Deutschland leben, kann im Personenstandsrecht das Recht ihrer Heimatländer zur Anwendung kommen, und dieses ist vom Islam geprägt (zum Beispiel beim Ehe- und Scheidungsrecht). Auch in anderen Bereichen ist der Einfluss der islamischen Rechtstradition (der Scharia) von deutschen Gerichten anerkannt worden. Einigen Moschee-Vereinen ist erlaubt worden, die Einladung zum rituellen Gebet öffentlich und per Lautsprecher auszurufen. In Kindertagesstätten und Strafvollzugsanstalten wird Essen nach islamischen Speisevorschriften angeboten. In einigen öffentlichen Einrichtungen (zum Beispiel Krankenhäusern) gibt es muslimische Gebetsräume. Insofern gehört der Islam also doch zu Deutschland, ob uns das recht ist oder nicht.

Islam und Umma

„Islam“ heißt Hingabe an Allah und Unterordnung unter seine Gebote. Entsprechend ist „islamisch“ alles, was mit dem Gehorsam gegenüber Allahs Weisungen zu tun hat. „Der Islam“ ist also zunächst einmal die religiös-politische Lehre, deren Quellen Koran und Hadith (Tradition) und die daraus abgeleiteten Rechtsauffassungen sind. „Muslime“ sind die Menschen, die den Islam mehr oder weniger praktizieren, das heißt „muslimisch“ leben.

Davon zu unterscheiden ist die weltweite Gemeinschaft aller Muslime, die „Umma“. Das ist ein mehr oder weniger theoretischer Begriff. Denn eigentlich sollte die Umma eine einheitliche Nation unter einem Kalifen als Oberhaupt sein. Dieses Ideal zerbrach schon wenige Jahre nach Mohammed. Aber als erstrebenswertes Ideal ist die Umma im Denken vieler Muslime lebendig und spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Durch die Präsenz einiger Millionen Muslime im deutschsprachigen Raum und durch den Einfluss ihrer muslimischen Herkunftsländer wirkt die Umma nach Mitteleuropa hinein. Für Islamisten muss es ein Ziel dieser Einwirkung sein, unsere Länder zu „islamisieren“ und damit zu einem Teil der Umma zu machen. Konsequente Muslime wollen auch in nicht muslimischen Ländern nach den Vorschriften des Islams leben und diese Lebensweise durchsetzen.

Da die „Umma“ ein Wunschtraum ist, spreche ich lieber allgemein von der „muslimischen Welt“. Die in ihr gelebte Wirklichkeit weicht in erheblichem Maß von den Zielen des Islams ab. Dieser ist in viele konkurrierende Lehrrichtungen gespalten. In politischer Hinsicht befinden sich die Muslime in der „Gefangenschaft“ von Nationalstaaten, deren Führer nicht daran denken, ihre Macht an eine einheitliche Umma abzutreten. In rechtlicher Hinsicht werden heute die gegensätzlichsten Meinungen vertreten. Dabei ist zu bedenken, dass die „Scharia“ kein kodifiziertes und von bestimmten Gremien beschlossenes Recht ist. Sie ist vielmehr die Summe traditioneller mittelalterlicher Rechtsauffassungen, die in voneinander abweichenden Kommentaren niedergelegt sind. Über die Frage, wie diese herkömmlichen Rechtsschulen ihre Auffassungen an die Gegenwart anpassen können, wird heftig gestritten. Traditionalisten und Modernisten ringen miteinander.

Auch in den vom Islam geprägten Ländern ist es nur noch bedingt möglich, die Muslime zu einem einheitlichen Lebensstil zu zwingen. Es lässt sich nirgends mehr vermeiden, dass durch die elektronischen Medien eine Meinungsvielfalt entsteht, die zum Pluralismus im Lebensstil führt. Auch in den „strengen“ Ländern (wie dem Iran und Saudi-Arabien) leben die Muslime den Islam nur mehr oder weniger konsequent. In den weniger strengen Ländern gibt es unter den jungen Menschen viele, die man als Namens-Muslime oder Kultur-Muslime bezeichnen kann. Sie praktizieren den Islam kaum noch oder nicht mehr, und bei manchen setzen sich atheistische Meinungen fest, die sie allerdings noch nicht öffentlich aussprechen.

Djihad

In diesem Buch geht es vor allem um eine Seite des Islams, die man früher als „heiligen Krieg“ bezeichnete. Dieser Begriff kommt aus der Geschichte des alttestamentlichen Israel und lässt sich nur bedingt auf das Kämpfen der Umma anwenden (vgl. dazu Kap. 6). Heute wird auch von nicht muslimischen Autoren das koran-arabische Wort Djihad (Bemühung nach den Geboten Allahs) und davon abgeleitet der Begriff „Djihadismus“ (Ideologie des Djihad) verwendet. Djihad ist im Koran ein Oberbegriff für allen „Einsatz für Allah“ und umfasst den Kultus, die Werbung (Da’wa, das heißt Einladung) wie auch den bewaffneten Kampf. Für den Kampf mit der Waffe kennt der Koran einen weiteren Begriff, Qital (das sich gegenseitig Töten). Allerdings wird auch der Oberbegriff Djihad im Koran teilweise im Sinne von Qital verwendet (vgl. dazu Kap. 4). Der Djihadismus kann sich zu Recht auf den Koran berufen, ist also keine unislamische Ideologie, wie manche behaupten. Freilich werden die Begriffe Djihad und Qital von Muslimen unterschiedlich interpretiert. Manche verstehen sie im ursprünglichen Sinn, andere deuten sie allegorisch oder ethisch um.

Für Nichtmuslime ist der Meinungspluralismus unter Muslimen schwer zu verstehen. Die große Bandbreite hängt damit zusammen, dass die Umma keine Beschlussgremien (Synoden, Konzile) entwickelt hat, die verbindlich über Glaube und Recht entscheiden. In der muslimischen Welt richtet man sich vielmehr nach früheren oder zeitgenössischen Autoritäten, die ihre Meinungen in weitverbreiteten Schriften niedergelegt haben oder heute über die elektronischen Medien verbreiten. Dabei sind die radikalen Autoritäten heute wesentlich einflussreicher als die moderaten. Wie überall herrscht auch in der muslimischen Welt eine große Verunsicherung. Deshalb sind vereinfachende, eingängige und populistische Ansichten sehr gefragt. Behutsame Differenzierungen haben es dagegen schwer, Gehör und Anerkennung zu finden.

Salafismus

Für den konsequenten Islam sind in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Begriffe in Gebrauch gekommen. Sie stammen teilweise aus der westlichen Tradition, teilweise aus dem Islam. Der „Fundamentalismus“ (Rückkehr zu den Grundlagen) besteht auf dem ursprünglichen Islam und lehnt Modernisierungen („Neuerungen“) ab. „Integrismus“ heißt, an der Einheit von Glaube und öffentlicher Ordnung festzuhalten. „Salafismus“ ist ein alter, genuin islamischer Begriff, der die Rückkehr zur Lehre der „Altvorderen“ zum Ziel hat. Der Salafismus des 19. Jahrhunderts war mehr oder weniger eine gelehrte Diskussion über die Gründe der Schwäche der muslimischen Welt. Man sah sie darin, dass sich das muslimische Denken und Handeln im Laufe der Jahrhunderte weit von Mohammed und seinen Gefährten entfernt hatte, und wollte zurück zum „reinen Islam“ der Frühzeit. Dabei idealisierte man freilich diese Anfänge und dachte wenig an eine historische Aufarbeitung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand der Neo-Salafismus. Er wollte über die gelehrte Diskussion hinaus zum praktischen Vollzug des Ursprünglichen. Man strebte zurück zur Einheit von Religion und Staat, wie Mohammed sie geschaffen hatte, und geriet dabei in Konflikt mit den modernen Nationalstaaten, die den Einfluss der Scharia auf die Gesetzgebung zurückgedrängt hatten. Heute versteht man unter Salafismus einen radikalen Islam, der mit allen nur möglichen Mitteln zum idealen Islam der Frühzeit – wie man ihn jeweils versteht – zurückkehren will.

Die „Reinigung“ des Islams von allem Verkehrten ist nur die eine Bewegung im neuzeitlichen Islam. Die Gegenrichtung will die Anpassung an die Gesellschaften, die man für den Islam gewinnen will. Solche Flexibilität hat es in der muslimischen Welt schon immer gegeben, und auch Mohammed war im Grunde ein Meister der Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse.

Heute erklärt man im Westen den Islam zur Religion des Friedens und die Liebe zu einem wichtigen Wesenszug Allahs. Unverkennbar werden hier westliche und christliche Themen aufgenommen und islamisch umgedeutet. Interessant ist, dass sich Muslime im Westen auch an die gängige Jugendkultur angepasst haben. Es ist ein „Pop-Islam“ entstanden, um junge Muslime beim Islam zu halten und nicht muslimische Jugendliche für den Islam zu gewinnen. Deshalb ist es nötig, die heute von Muslimen im Westen gebrauchten Begriffe kritisch zu hinterfragen. Gleiche Worte bedeuten eben nicht unbedingt das Gleiche.

Allah

Das beginnt schon mit dem Gebrauch des Wortes Allah. Es ist vorislamisch und heißt so viel wie „der eine Gott“. Durch Mohammed und den Koran ist dieses alte Wort aber praktisch zu einem Eigennamen geworden, der islamisch gefüllt ist. Viele Christen in der muslimischen Welt beten zu Allah, bekennen sich dabei aber zu Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Es ist also jeweils zu fragen, ob Allah im islamischen oder im biblischen Sinne gemeint ist. Verwirrender wird die Sache noch dadurch, dass Muslime im deutschsprachigen Raum durchaus von „Gott“ sprechen können, wenn sie Allah im muslimischen Sinn meinen. Deshalb ist im Grunde auch in Mitteleuropa immer zu fragen, wie Gott gemeint ist.

Mohammed hat auch bestimmte Eigenschaften Gottes, die Christen von der Bibel her verstehen, islamisch umgedeutet. „Barmherzigkeit Gottes“ ist im biblischen Zeugnis das Erbarmen Gottes mit dem Elend des Menschen, das ihm „zu Herzen geht“ und ihn veranlasst, den Menschen aus seinem Elend zu erlösen. Barmherzigkeit Gottes ist deshalb die „teure Barmherzigkeit“, die Gott viel „kostet“, konkret das Sühnopfer seines Sohnes. Im Koran ist die Barmherzigkeit Allahs dagegen eher seine Großzügigkeit, die ihn nichts kostet. Er versorgt die Menschen mit dem, was sie zum Leben brauchen, und sendet ihnen den Koran, um sie auf den „rechten Weg“ zu führen. Natürlich kann man deshalb mit einer gewissen Berechtigung sagen: „Islam ist Barmherzigkeit“ (so der Münsteraner Professor Mouhanad Khorchide 2012 in seinem Buch mit dem gleichlautenden Titel). Aber es ist eben eine andere Barmherzigkeit, als sie die Bibel bezeugt.

Islamischer Friede

Das gilt auch für die heute oft gehörte Formel „Islam ist Frieden“. Sprachlich ist das falsch, weil Friede im Arabischen „Salam“ heißt, während „Islam“ so viel wie „Hingabe, Unterwerfung“ bedeutet. Inhaltlich kann man aber durchaus eine Verbindung zwischen Islam und Salam herstellen: Wenn ein Mensch sich vollständig den Geboten Allahs unterwirft und seinen Widerstand dagegen aufgibt, kann das durchaus eine Art von „Frieden“ in seinem Herzen bewirken. Wenn mehrere Menschen das tun, kann ihre gemeinsame Hingabe an Allah durchaus eine Art von gesellschaftlichem Frieden unter ihnen schaffen. Und wenn die gesamte Menschheit sich den Geboten Allahs vollkommen unterwirft, gibt es auf der Erde eine umfassende Friedensordnung. Das ist natürlich eine schön klingende Idee, die das Rebellische im Menschen, das heißt seine Sünde, ausklammert bzw. verharmlost. Der „islamische Friede“ kann nur durch Gewalt verwirklicht werden! Das Evangelium von Jesus Christus ist in dieser Hinsicht viel realistischer: Der Unfriede im Menschen und unter Menschen kann nur durch die von Gott bewirkte Versöhnung überwunden werden. Im Glauben an Christus ist der „Friede Gottes“ umfassend, in der Wirklichkeit der sündigen Welt aber immer nur zeichenhaft real als „Friede auf Hoffnung“.

Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig die Gespräche zwischen Christen und Muslimen sein können. Man verwendet die gleichen Begriffe, denkt dabei aber an unterschiedliche Inhalte und redet möglicherweise aneinander vorbei. Wenn sich die Gesprächspartner der unterschiedlichen Füllung der verwendeten Begriffe bewusst sind, kann das Gespräch aber durchaus fruchtbar sein und zum Kern der unterschiedlichen Glaubensauffassungen führen.

2. Europäische Christen können den Muslimen nicht mehr ausweichen