Cover.jpg

Überarbeitete und um weitere Vorworte/Stimmen zum Buch
erweiterte Taschenbuchausgabe des 2011 im Verlag
Präsenz Kunst & Buch‚ Gnadenthal, 65597 Hünfelden
erschienenen Titels „Juliana“

© 2017 Brunnen Verlag Gießen

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Umschlagfotos: Galyna Andrushko/Shutterstock.com
Monika Aigner; privat

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN Buch: 978-3-7655-4313-5
ISBN EBook: 978-3-7655-7480-1

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Stimmen zu diesem Buch

Vorwort

Die Schlangentöterin

Scham und Schande

Er sah aus wie Marlon Brando

Und dann kam Terence Hill

Licht am Horizont

Alles verlieren?

Aufräumarbeiten

Ich hab dich je und je geliebt

Der Weg ebnet sich

Er raubt, tötet und zerstört

Was wir nicht sehen

Geistliche Kampfführung

Sound of Music

Des Sieges gewiss, bleibe doch wachsam

Götze Heimat

Vom Satansbraten zum Engel

Der Schlüssel

Ein Gott, der Träume wahr macht

Weckruf an die Nationen

Schlussbemerkung

Dank

Stimmen zu diesem Buch

„Ich kenne Juliana schon einige Jahre und darf mit Zuversicht sagen: Juliana ist ein Geschenk Gottes, eine Frau, an der die Gnade Gottes sichtbar und spürbar geworden ist.

Sie ist durch viele Täler und Höhen in ihrem Leben gegangen, aber der Herr hat alles zum Besten zusammenwirken lassen.

Sie kann mit Zuversicht den Menschen sagen, dass Gott fähig ist, aus allen Scherben unseres Lebens noch Mosaike zu machen und aus allem Mist noch herrlichen Dünger.

Juliana ist heute ein Mensch, der nicht aufgibt, der nicht aufhört zu vertrauen, und zwar ihrem Herrn und Meister Jesus Christus.

Wenn du Ermutigung brauchst für dein eigenes Leben und Vertrauen bekommen willst, dass für Gott nichts unmöglich ist, dann wird dieses Buch dir helfen, einen weiten Horizont zu bekommen für die Weite, Breite, Länge und Höhe der Liebe Gottes.

Ich freue mich, dass ich Juliana schon auf dieser Welt begegnet bin!“

Maria L. Prean, Leiterin Vision for Africa und Autorin

„Es ist die faszinierende Lebensgeschichte einer tapferen Frau. Das Schöne daran ist, dass man die reichen Früchte ihres Lebens sehen und erfahren kann.

Ich war selber auf ihren Seminaren, die mir neue Aspekte für mein Leben und meinen Glauben eröffnet haben.

Ich empfehle dieses Buch jedem, der bereit ist vorwärts zu gehen und Altes hinter sich zu lassen.“

Marie-Louise Fürstin zu Castell-Castell

„Packend, nicht reißerisch, aber sehr einfühlsam und erschütternd bewegend schreibt Marie-Sophie Maasburg hier eine Lebensgeschichte, die unglaublich erscheint. Doch sie ist wahr.

Und sie zeigt hautnah, wie eng Dunkel und Licht beisammen liegen können. Der Leser sieht förmlich, wie am tiefsten Punkt des Lebens nichts mehr geht – um dabei zu sein, wie alles neu wird und Gott tatsächlich Mut spendet.

Ein Buch, das aufrüttelt – und die Erkenntnis schenkt:

Hoffnung ist sehr real. Gott auch.“

Martin Lohmann, Publizist

„Ein wahrer geistlicher Leckerbissen mit Tiefgang. Juliana nimmt den Leser auf eine äußere und innere Reise mit, die dem Leser Einblicke in die Geschichte, die Jesus in und mit ihrem Leben geschrieben hat, gibt.

Dabei wird nichts beschönigt, denn Juliana beschreibt mit bewundernswerter Ehrlichkeit auch ihre eigenen Wege, auf denen sie viel Leid, Enttäuschung und Scheitern erleben musste.

Das Buch ist zunächst einmal ein ermutigendes Zeugnis darüber, wie Jesus das Leben eines Menschen auf den Kopf stellen kann. An diesem Lebensbericht beeindruckt mich in besonderer Weise, wie Jesus Juliana zu einer Frau des Glaubens gemacht hat.

Es ist der Glaube, wie er in Hebräer 11,1 als ein ‚Überzeugt sein von Dingen, die man nicht sieht‘ beschrieben wird. Ihr ganzes Leben mit Jesus ist ein eindrückliches Zeugnis für die Erfahrung, wie das Festhalten an dem, was Gott gesagt und versprochen hat, den Himmel ‚öffnet‘ und Zeichen und Wunder freisetzt.

Juliana erzählt viele Beispiele, wie eine solche Glaubenshaltung natürlich eine große Herausforderung darstellt und daher viel Mut zum Risiko erfordert.

Aus vielen Seiten des Buches springt einen geradezu diese Risikobereitschaft an, die aus dem Glaubensgehorsam erwächst.

Juliana gibt dem Leser auch Anteil an dem inneren Werdegang ihres Dienstes, wie Jesus sie Stück für Stück in verschiedene Felder geistlicher Erkenntnis geführt hat.

Dabei ist ihre Bereitschaft, durch den Geist Gottes immer wieder Neues zu lernen und zu empfangen, bemerkenswert. Man gewinnt sehr klar den Eindruck, dass sie stets ‚Lernende‘ sein möchte und für Neues aus der Fülle des Reichtums Gottes offen ist.

Auch darin wird sie dem Leser ein Vorbild, das Leben mit Jesus nach vorne hin für neue Erfahrungen, Einsichten und Wege stets offen zu lassen.

Der Lebensbericht von Juliana ist insgesamt ein wunderbares Zeugnis von einem großen und treuen Gott, der hält, was er verspricht, und der nie aufhört, an uns zu arbeiten und uns in neue Dimensionen zu führen.“

Helmuth Eiwen,
Pastor der Ichthys Gemeinde Wiener Neustadt

Vorwort

Das erste Mal traf ich Juliana Bosma im Haus meiner Eltern. Meine Mutter organisiert im Frühling jährlich eine Fastenwoche. Einige Frauen treffen sich zum Fasten und Beten – eine Woche Erholung für Körper und Geist. Die Zeit ist immer von Andachten und Gebet durchwoben. Im Frühjahr 2010 hat uns Juliana auf Einladung meiner Mutter, die vorher auch lediglich von ihr gehört hatte, täglich Impulse gegeben. Juliana beeindruckte augenblicklich: frisch, fröhlich und gelassen, mit einem undefinierbar gemischten Akzent, stets orange geschminkten Lippen und lebensfrohen Augen.

Ihre ansteckende Begeisterung und Ausstrahlung ließ keinen unberührt. Etwas strahlt aus ihr heraus, und jeder, der sie sieht, fragt sich unweigerlich, woher das kommt. Sie begleitete uns durch die Woche, und es war eine weitaus intensivere, erlebnisreichere Zeit als vermutet.

Auf der Suche nach einem neuen Buchprojekt kam mir der flüchtige Gedanke, das Leben von Juliana Bosma aufzuzeichnen. Schließlich nahm ich im Juni 2010 all meinen Mut zusammen und schrieb ihr, ob sie sich vorstellen könne, ihr Leben offenzulegen. Ihre Reaktion war überwältigend. Sie war begeistert von der Idee und hatte just in den Monaten zuvor von einigen Menschen die Ermutigung bekommen, ihr Leben aufzuschreiben, und dass Gott ihr jemanden ins Haus schicken werde, der ihr damit helfe. So ist das mit Juliana – ein geradezu unbegreifliches Gottvertrauen durchdringt sie. Mit Gott geht alles, ohne ihn nichts. So war das dann auch mit unserem Buchprojekt.

Das Buch ist fertig.

Es hat einfach geklappt.

Wir haben eine gemeinsame Reise nach Uganda unternommen; dort habe ich die Lebensgeschichte von Juliana gehört und aufgeschrieben. Noch nie musste ich mich dabei so auf Gottes Hilfe verlassen. Und auf die ist Verlass, denn nun liegt das Buch vor Ihnen. Es ging fast wie von selbst.

In diesem Buch werde ich davon berichten, was Juliana Bosma zum Thema Fluch und Segen beitragen kann. Warum? Sie hat eine Lösung gegen ewige Pechsträhnen und für tägliche Wunder gefunden. Ihr Lebensweg war von Tragödien durchzogen und ist heute von Glauben, Liebe und Hoffnung bestimmt. Tod, Scheidungen, zerstörte Beziehungen und Verlassenheit prägten ihr Leben. Trotzdem lacht Juliana mich heute an und strahlt immer diese ungemeine Lebensfreude aus. Freude am Sein, Freude am Lachen und voller Humor, Freude an einem schönen Essen, Freude an Begegnungen, Freude an Menschen. Wie hat Gott aus der zerstörten jungen Frau, diese starke, lebensbejahende Person erwachsen lassen? – Juliana hat mir davon erzählt. Sie hat auch davon erzählt, was nach ihrer Umkehr geschehen ist und wie sie Gott erst kennengelernt und sich dann mit ihm auf eine abenteuerliche Reise begeben hat. Sie durfte nicht nur persönliche Heilung erfahren, sondern schließlich auch zur Heilung anderer Menschen beitragen. Es ist eine wahrhaft erstaunliche, manchmal unglaubliche und doch wahre Geschichte.

Tagebuch – 29. Mai 2011, von Marie-Sophie Maasburg:

„Nun ist das Buch so gut wie fertig. Viele Male habe ich es durchgearbeitet und gelesen. Und immer wieder habe ich mich dabei ertappt, dass ich mich nicht auf die Korrekturen konzentrierte, sondern mich wieder von dieser Geschichte in den Bann ziehen ließ. Meine Zeit mit Juliana und die Arbeit an diesem Buch waren intensiv und für mein persönliches Leben sehr bereichernd. Wenn ich etwas daraus mitnehme, dann ist es die Erkenntnis, dass Gott ein guter Gott und der Teufel ein böser Teufel ist. Und dass es sich lohnt, ein Leben mit Gott zu wagen, weil Er all unsere Erwartungen übersteigt.“

Jetzt schreiben wir das Jahr 2017 und es erfüllt mich mit großer Freude, dass dieses Buch erneut erscheinen darf. Ich durfte in den letzten Jahren erleben, wie Julianas Geschichte viele Menschen berührt hat und bei nicht wenigen sogar lebensverändernde Wirkung gezeigt hat. Ich glaube, dass diese Geschichte auch dich auf eine aufregende Reise mitnehmen kann, und wenn du es zulässt, wirst du Heilung und Veränderung erfahren.

Sei gesegnet,

deine Marie-Sophie Maasburg

Die Schlangentöterin

Seht ich habe euch die Vollmacht gegeben auf Schlangen und Skorpione zu treten und die ganze Macht des Feindes zu überwinden. Nichts wird euch schaden können.

(Lukas 10,19)

Meine Mutter Susanna war eine Legende in Namibia. Sie war erst siebzehn Jahre alt, als sie mit ihrem Mann aus Südafrika nach Windhuk, die Hauptstadt Namibias, kam. Da sie in ihrem Elternhaus sehr unglücklich gewesen war, hatte sie die erste sich bietende Gelegenheit ergriffen, um ihrer Kindheit den Rücken zu kehren. Sie heiratete Hendrik Rossouw und ging gemeinsam mit ihm fort. Hendrik arbeitete damals bei der Eisenbahn, und das junge Paar wohnte auf einer Farm am Rande der Stadt. Kaum neuzehnjährig, brachte Susanna ihr erstes Kind zur Welt, und in den folgenden Jahren sollten noch fünf weitere dazukommen.

Sie war eine große, stattliche Frau mit kräftigen Armen und Händen, die anpacken konnten. Zu grobschlächtig, um schön genannt zu werden, konnte man sie zumindest als „durchaus attraktiv“ bezeichnen. Es war dieses gewisse Etwas in ihren Augen, das die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zog. Wild, entschlossen und ungebändigt. Von Anfang an musste sie auf der Farm alles alleine machen, während ihr Mann an den Bahngleisen, die von Johannesburg bis nach Windhuk verlegt wurden, arbeitete. Sie musste selbst schlachten, die Tiere ausweiden, Obst einkochen und Reparaturarbeiten durchführen. Sie kümmerte sich um den Hof, die Küche, die Kinder. Sie stellte selbst Seife und Butter her, nähte, kochte und regierte.

„Regieren“ beschreibt ihren Umgang mit allem und jedem wohl am treffendsten. Sie regierte, ohne Opposition zu dulden oder auch nur wahrzunehmen. In der Gegend um die Farm nannte man sie auch „Dr. Kill or Cure“. Sie kannte sich mit allerlei Pflanzen und Kräutern aus und behandelte die Menschen, vor allem gegen Malaria. Ihre Behandlungen waren teilweise recht ungewöhnlich. Sie verwendete zum Beispiel Natron zum Gurgeln, um Mandelentzündungen zu heilen. Auch eine gute Dosis Bittersalz gegen Fieber zeige immer eine positive Wirkung, meinte sie, oder Pfeffer auf offenen Wunden führe zu schneller Genesung. Ihre Methoden verursachten Schmerzen, aber sie halfen.

Meine Mutter war eine respektierte und gefürchtete Frau. Sie hatte früh gelernt, stark zu sein, um zu überleben. Ihre kantige Natur machte sie zu einer herausragenden Persönlichkeit. Weit und breit war sie als die Schlangentöterin bekannt. Angst schien ihr fremd zu sein. Selbst gestandene Männer nahmen ihre Hilfe in Anspruch, wenn sie giftige Schlangen töten wollten, mit denen sie selbst nicht fertig wurden. Mutter griff blitzschnell zu und brach den Schlangen einfach das Genick, bevor diese zu einer Gegenwehr ansetzen konnten.

Ein wilder, fast brutaler Charakter. Sie fürchtete sich vor nichts und niemandem. Die meisten Menschen aber fürchteten sich vor meiner Mutter. Sogar die Polizei. Sie besaß eine Lederpeitsche, mit der sie ihre sechs Kinder zu züchtigen pflegte, und wenn es notwendig war, auch jeden anderen, der ihr in die Quere kam.

Einmal schlug sie meine Schwester Driekie. Dabei schlug sie so hart zu, dass Driekie vor Verzweiflung laut schrie. Die anderen Geschwister hielten sich verschreckt zurück, um nicht selbst Schläge zu kassieren. Das Schreien meiner Schwester klang wie das eines Schweins auf der Schlachtbank. Die Nachbarn hörten den verdächtigen Lärm und alarmierten die Polizei. Zwei junge Polizeibeamte klingelten an der Tür, hämmerten dagegen und forderten Einlass. Meine Mutter öffnete gelassen, die Peitsche baumelte noch in ihrer Hand.

Sie ließ die jungen Männer nicht zu Wort kommen, sondern herrschte sie an:

„Macht, dass ihr wegkommt, oder ich verhaue euch auch.“ Da gab es nichts zu erwidern.

Die Polizisten flohen.

Und noch eine Geschichte. Nach dem Krieg gab es zwischen den Militärs und den Zivilisten bei den Eisenbahnarbeiten immer wieder Streit. Als der Konflikt einmal mehr auszuarten drohte, marschierten die Streithähne auf die Farm von „Tante Souras“, wie meine Mutter auch genannt wurde. Man hoffte, sie wäre in der Lage, den Streit zu schlichten. Sie war schließlich respektiert und für ihre Furchtlosigkeit bekannt. Die wild streitenden Männer stürmten in die Farm, schrien und schlugen aufeinander ein. Als meine Mutter nach Hause kam und die streitenden Männer vorfand, wurde sie wütend. Entschlossen griff sie zur Peitsche. Ohne groß nachzudenken, trennte sie die Streithähne und sorgte für Ordnung. Dabei übertönte ihre Stimme mit Leichtigkeit die der Männer. Wie kleine Buben standen die erwachsenen Männer vor ihr und zogen die Köpfe ein. Die Militärs ergriffen schließlich die Flucht.

Der Mann meiner Mutter war ein sehr ruhiger, lieber Mensch, den sie völlig beherrschte. Er hatte wohl nicht geahnt, was ihm blühte, als er der damals Siebzehnjährigen angeboten hatte, sie zu heiraten.

1943 kehrte er aus dem Kriegsdienst nach Hause zurück. Traumatisiert durch den Krieg, war er Alkoholiker geworden. Nach seiner Rückkehr dauerte es nicht lange, bis sich meine Mutter von ihm scheiden ließ. Mit schwachen Menschen hatte sie kein Mitleid. Und sie war selbst nicht bereit zu leiden.

Ich wurde 1946 in der namibischen Wüste geboren. In der Walfischbucht, einem der wichtigsten Seehäfen Namibias. In meinem Geburtsort, in dem meine Mutter damals ein Restaurant betrieb, hatte sie sich in einen Mann verliebt. Meine Mutter hatte nicht mehr damit gerechnet, noch Kinder zu bekommen, da sie bereits mitten in den Wechseljahren war. Sie war mehr als erstaunt, als ich mich ankündigte. Vierzig Jahre alt, geschieden und bereits sechs Kinder keine ideale Ausgangsbedingung, um noch einmal schwanger zu werden. Auf ihrem Sterbebett erzählte sie mir, dass ich das einzige ihrer Kinder gewesen sei, das aus Liebe gezeugt worden war. Mein Vater war ein Holländer, der gelegentlich aufgrund seiner Geschäfte in die Walfischbucht gekommen war. Mehr weiß ich nicht über ihn. Als er von der Schwangerschaft erfuhr, gestand er meiner Mutter, dass er bereits verheiratet war. Er bot ihr an, seine Familie zu verlassen, aber sie schickte ihn fort, damit er zu seiner Frau und seinen vier Kindern zurückkehrte.

Ich war ein ungeplanter Nachzügler. Ein Unfall, wie ich später oft dachte. Ich wurde von dem einzigen Arzt, der sich in der Umgebung befand, auf die Welt gebracht. Er war Tierarzt und sagte bei meiner Geburt, ich erinnere eher an ein Elefantenbaby als an ein Menschenkind. Ich wog dreizehn Pfund. Meine Mutter ließ mich auf ihren Mädchennamen als Juliana Isobel Van Wyk eintragen.

Ich wuchs jedoch mit dem Nachnamen meiner Geschwister auf: Rossouw. Und ich lebte in der festen Annahme, Hendrik Rossouw sei mein Vater. Ich hatte drei Brüder, Berti, Marius und Hendrik, sowie drei Schwestern, Ella, Fay und Driekie. Der jüngste Bruder, Hendrik, war dreizehn Jahre älter als ich. Alle meine Geschwister waren wegen des Altersunterschieds eher wie Tanten und Onkel für mich.

Damals lebte nur meine Schwester Driekie bei uns, die im Restaurant meiner Mutter arbeitete. Die anderen Geschwister lebten in Windhuk. Meine Schwester Driekie brachte drei Monate vor meiner Geburt einen Sohn zur Welt. So wuchs ich mit meinem Neffen Martin auf, als wäre er mein Bruder. Er war der erste Mensch, den ich zurücklassen musste, als meine Mutter aus der Walfischbucht wegzog. Ich habe eigentlich keine Erinnerung an die Zeit in der Walfischbucht. Als ich etwa drei Jahre alt war, zogen wir um nach Kapstadt.

Es sollte der erste von sehr vielen weiteren Ortswechsel in meinem Leben sein. Meine Mutter hatte nie für sehr lange eine Arbeit, und so waren wir stets wieder am Aufbrechen. Orte und Menschen, die ich gerade lieb gewonnen hatte, hinter mir zu lassen – dieses Gefühl zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich wuchs auf wie ein Einzelkind. Meine Mutter nahm mich überall mit hin und meine Geschwister sah ich sehr selten. Ich erlebte meine Mutter als extrem streng und ich hatte immer etwas Angst und tiefen Respekt vor ihr. Ich hätte es nie gewagt, ihr zu widersprechen oder gar mich gegen sie aufzulehnen. Genauso wie sie ihr ganzes Leben über Menschen geherrscht hatte, herrschte sie über mich. Nicht selten packte die Schlangentöterin mich im Genick, auch wenn sie es mir nie brach. Zärtlichkeit war etwas, was ich nicht mit ihr in Verbindung brachte. Es ist nicht so, dass sie mich nicht geliebt hätte. Ganz und gar nicht. Sie versorgte mich gut und achtete immer darauf, dass ich hübsch gekleidet war. Sie wollte ein perfektes Kind, aber sehr viel Zeit hatte sie nie für mich. Ich lernte also schnell, mich hervorragend mit mir selbst zu beschäftigen, und flüchtete mich in Tagträume.

In Kapstadt arbeitete meine Mutter als Köchin bei einer jüdischen Familie. Wir lebten bei der Familie, in einer kleinen Kammer. Die Kinder spielten nie mit mir. Ich wusste, dass sie Juden waren, weil meine Mutter es mir gesagt hatte. Ich wollte mich gerne mit ihnen anfreunden, aber sie beachteten mich nicht. Immer war ich ausgeschlossen, obgleich wir im selben Haus wohnten. Nur wenn ich ihnen nützlich war, kamen sie zu mir. Ich erinnere mich noch genau, dass ich immer die Lichter für sie anmachen sollte, da ich als Einzige keine Angst vor der Dunkelheit hatte. Ich war erst vier Jahre alt. Ich stieg auf eine kleine Box, um die Lichtschalter zu erreichen. Auch wenn ich mich streckte und mühte, um den Schalter zu erreichen, half mir keines der Kinder. Und ich verinnerlichte, dass ich nur zu was gut war, wenn ich etwas Nützliches tat. Ich erbrachte eine Leistung und erntete dafür Aufmerksamkeit.

Als ich fünf Jahre alt wurde, zog ich mit meiner Mutter in die Kalahariwüste in einen Ort Namens Gobabis. Dort arbeitete meine Mutter in einem Hotel für eine reizende Familie mit drei Kindern. Ich wurde eingeschult und fand eine Freundin: Hildegard, die Tochter der Hotelbesitzer. Es war das erste Mal, dass ich mich mit einem Mädchen anfreundete. Schon immer war ich besser mit den Buben klar gekommen. Vielleicht weil ich mit Martin aufgewachsen war.

In dieser Zeit merkte ich, dass ich gerne anderen etwas beibrachte. Das Hotel hatte eigene Hühner und einen großen Hühnerstall. Dort spielten Hildegard und ich oft Lehrer und wir unterrichteten die Hühner. Ihr Gackern, Schaben und Picken passte gut in unser Spiel. Mit Puppen spielten wir nicht so gerne, und wenn wir es doch einmal taten, dann haben wir sie belehrt. Es war eine gute, sorgenfreie Zeit. Ich erinnere mich, dass ich damals in einer Art primitivem Kino einen schnulzigen Heimatfilm über die Loreley gesehen habe. Ein bisschen Liebe, grüne Landschaften und ein idyllischer Fluss, der sich durch die Berge schlängelte. Ich war hingerissen. Ich begann in meinen Tagträumen in die weite Welt zu reisen. Ich konnte mich für Stunden von der Welt verabschieden und in meiner Fantasie die spannendsten Orte und Länder besuchen. Und ich bevorzugte eindeutig grüne, bewaldete Orte.

Meine Freundin Hildegard war ein abenteuerlustiges Mädchen. Wir spielten am liebsten mit den Buben, weil uns Mädchen zu langweilig waren. Weil wir mutig und unerschrocken waren, machten wir ihre Streiche mit, und sie ließen uns gewähren. Wir klauten Obst von den Bäumen der Nachbarn, stocherten Bienenstöcke auf und flohen dann mit wildem Geschrei, um nicht gestochen zu werden. Wir zerschnitten die Gartenschläuche der Nachbarn und verkauften die Stücke an Schwarze für ihre Fahrräder. In der Nähe des Hotels gab es eine Halle, in der leere Benzinkanister gelagert wurden. Es war unser größter Spaß, ein Streichholz in die Kanister zu werfen und kleine Explosionen zu verursachen. Einmal verbrannte das ganze Gesicht eines der Jungen, der so dumm war, in den Kanister zu schauen. Sogar das hielt uns nicht davon ab weiterzumachen.

Wir stellten eine Menge Unsinn an und regelmäßig wurde ich dafür von meiner Mutter auch geschlagen. Sie verstand keinen Spaß, und war streng darauf bedacht, aus mir ein braves, sittsames Mädchen zu machen. Ich versuchte wegzulaufen, wenn es wieder so weit war. Gelang es mir, dann jagte meine Mutter mir die schwarzen Mitarbeiter hinterher. Diese mochten mich und taten deshalb nur so, als würden sie mich fangen. Ich wusste immer, dass sie mich mit Absicht nicht einholten, um mich zu schützen. Meine Mutter war sehr rassistisch und hatte einen harten Umgang mit den schwarzen Kollegen. Ich hingegen liebte sie, weil ich sie immer als meine Beschützer erlebte.

Als ich acht Jahre alt wurde, schickte meine Mutter mich zu meiner Schwester Ella nach Windhuk, um dort mit ihr zu leben. Ich weiß nicht mehr, warum ich verschickt wurde, aber ich verließ Kapstadt und meine Freunde nur sehr ungern. Auch vermisste ich meine Mutter. Obgleich ich oft sehr unter ihr gelitten hatte, hing ich doch auch an ihr. Sie war schließlich meine einzige Bezugsperson im Leben. Ella hatte bereits zwei Söhne, die etwas älter waren als ich. Die beiden Buben waren gar nicht begeistert, dass ich da war. Ich war ein Störenfried in ihrem Haus, und das zeigten sie mir auch deutlich. Sie waren gemein zu mir und machten mir das Leben schwer, wo sie nur konnten.

Mein Neffe Johann kippte beispielsweise einmal einen Eimer mit Sand unter mein Bett. Meine Schwester war sehr sauber und pingelig, und ich bekam Schläge dafür. Er wusste das. Und es freute ihn. Ich litt ungemein, konnte mich aber nur schlecht wehren. Ich hatte nie gelernt, zu widersprechen oder aufzubegehren. Also ertrug ich die Behandlung still und heimlich und wünschte mir zwischenzeitlich sogar das harte Regiment meiner Mutter zurück.

Außerdem hasste ich den Mann meiner Schwester. Er war ein harter, kritischer Mensch, der Ella fast jeden Abend zum Weinen brachte. Sobald er den Raum betrat, wurde die Atmosphäre angespannt. Das war körperlich wahrnehmbar. Ich fürchtete den Moment. Obgleich er nie Hand an uns legte, machte er mir Angst. Meine Mutter muss wohl gemerkt haben, dass ich dort nicht glücklich war, und nahm mich ein Jahr später wieder zu sich.

Mit zehn Jahren wurde ich in ein Internat in Windhuk gesteckt. Das Internatsleben war schrecklich. Ich fühlte mich sehr einsam und wollte nicht bleiben. Eine der Lehrerinnen, Miss Emilie, hatte es besonders auf mich abgesehen und schikanierte mich, wo sie nur konnte. Ich war, wie mir schien, still und brav, aber sie bestrafte mich ständig und gab mir bei jeder Gelegenheit Stubenarrest. Sie suchte regelrecht Fehler an mir, um mich wieder bestrafen zu können. Zumindest empfand ich es damals so. Ich hasste diese Frau, die mir das Leben vermieste.

Ein Jahr später kam meine Mutter in mein Internat. Sie hatte dort Arbeit als Köchin bekommen und wollte in meiner Nähe sein. Man könnte meinen, dass ich mich darüber gefreut hätte. Aber das Verhältnis zu meiner Mutter war zeit meines Lebens sehr zwiespältig. Ich konnte nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie. Für mich bedeutete ihre Ankunft im Internat nur noch einen weiteren Erwachsenen, dem ich gehorchen musste und der mich strafen konnte. Schon wenn ich ihre lauten Schritte auf dem Gang hörte, sprang ich auf, um den Anschein zu erwecken, ich wäre beschäftigt. Es war egal, was es war – Hauptsache, sie erwischte mich nicht beim Müßiggang. Sie hielt es nicht aus, wenn jemand einfach einmal nichts tat. Und weil ihre Hand stets locker saß und sie so schnell in Wut geriet, wurde sie im Internat „Tante Bombe“ genannt. Freigebig verteilte sie Ohrfeigen und Schläge. Ich war nicht die Einzige, die das zu spüren bekam. Die Internatsleiter waren froh, dass meine Mutter mit Strenge für Zucht und Ordnung sorgte, auch dort, wo es nicht ihre Aufgabe gewesen wäre. Wahrscheinlich wagten auch die anderen Erwachsenen nicht wirklich, ihr zu widersprechen. Manchmal ging sie auch einfach zu weit. Einmal verdrosch sie mich mit einem Stromkabel, sodass ich drei Tage lang gepflegt werden musste. Mein Rücken war offen und blutig. Ich hatte sie belogen. Ich weiß nicht einmal mehr, weswegen. Es war eine Kleinigkeit gewesen. Ehrlichkeit war für sie die Tugend Nummer eins. In ganz seltenen Fällen entschuldigte sie sich bei mir nach solchen Gewaltausbrüchen. Aber meistens sah sie die Schläge einfach als gerechtfertigte Erziehungsmaßnahme an.

Während dieser Zeit bekam meine Schwester Driekie auch eine Stelle im Internat. Ihre Kinder Martin, Roy und meine Nichte Pinkie gingen nun mit mir in die Schule. Meine Schwester hatte eine sehr schwere Zeit mit ihrem Mann hinter sich, ihre Kinder waren für eine Zeit lang in einem Kinderheim gewesen und völlig verwahrlost. Ich freute mich, Martin wiederzusehen. Und zu meiner Schwester Driekie hatte ich ein sehr inniges Verhältnis. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich im Internat jedoch die Einzige gewesen, die die Zuwendung meiner Mutter bekommen hatte. Jetzt musste ich das bisschen, was meine Mutter zu geben in der Lage war, auch noch teilen. Eifersüchtig lauerte ich auf jeden noch so kleinen Beweis der Zuneigung. So sehr ich sie fürchtete, so sehr genoss ich es doch, wenn sie mir schöne Kleider nähte und mich herausputzte. Sobald meine Schwester mit ihren Kindern da war, bekam ich keine Aufmerksamkeit mehr. Ich war ihr Aushängeschild gewesen und das hatte ich geliebt. Sie hatte eine ganz eigene Art, ihre Liebe zu zeigen, und ich verstand die Sprache ihrer Liebe. Nun wurde sie mir entzogen und ich mochte das ganz und gar nicht.

Als ich dreizehn Jahre alt wurde, zogen wir alle gemeinsam nach Swakopmund an die Küste. Wieder hatte meine Mutter einen neuen Job angenommen. Wieder packten wir unsere Sachen und mussten an einem neuen Ort ein neues Leben aufbauen. Driekie und ihre Kinder gingen mit uns. Dort kam ich wieder in ein Internat, wieder kochte dort meine Mutter, und meine Schwester war als Hilfe eingestellt. Nach einem Jahr, im Juni 1959, schickte meine Schwester mich und ihre drei Kinder zu einer alten Freundin in der Walfischbucht, und sie und meine Mutter blieben in dem Internat. Es waren Ferien. Es hieß, wir sollten aufs Land, frische Luft würde uns guttun. Wir waren keine zwei Tage bei dieser Familie, als wir plötzlich eilig zurückgeholt wurden. Was uns erwartete, war ein Schock, den ich niemals vergessen werde.

Meine Schwester Driekie hatte sich umgebracht. Sie schoss sich mit einer Pistole in den Kopf. Sie starb in den Armen meiner Mutter. Es war zu schrecklich und grausam, um es zu begreifen. Ich war erst dreizehn Jahre alt und hatte gerade begonnen, eine Beziehung zu dieser Schwester aufzubauen. Wir hatten uns gut verstanden, und sie hatte mir eine Art Liebe gezeigt, wie meine Mutter es nie gekonnt hatte. Wir hatten begonnen, eine Familie zu werden, wie ich mir das immer erträumt hatte. Sie war in dem Jahr zuvor eine richtig gute große Schwester für mich gewesen. Ich weiß noch, dass sie wunderbar Klavier spielen konnte und wie sehr ich es genoss, ihr dabei zuzusehen und zu lauschen. Nun war sie tot. Und das aus eigenem Willen. Sie hatte uns verlassen, sich einfach das Leben genommen. Ich konnte das nicht begreifen. Alles, woran ich mich erinnere, ist ein Gefühl der absoluten Verlassenheit und Leere. Und damit nicht genug. Der Selbstmord hatte schlimme Folgen für uns: Ihr Selbstmord brachte Schande über die ganze Familie. Und das bekamen wir zu spüren.

Mit diesem Tag war meine Kindheit abrupt beendet.

Scham und Schande

Fürchte dich nicht, du wirst nicht beschämt. Schäme dich nicht, du wirst nicht enttäuscht.

Denn die Schande in deiner Jugend wirst du vergessen, an die Schmach deiner Witwenschaft wirst du nicht mehr denken. Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl. Herr der Heere ist sein Name.

Der Heilige Israels ist dein Erlöser.

(Jesaja 54,4–5)

Mit vierzehn Jahren kam ich dann wieder auf ein Internat in Windhuk, diesmal ohne Mutter. Ich war in erster Linie erleichtert, an einem neuen Ort zu sein, an dem mich niemand kannte. Meine Mutter hatte Driekies Kinder, Martin, Roy und Pinkie adoptiert. Die beiden Buben waren in einem anderen, Pinkie in meinem Internat. Wie froh war ich, dass meine Mutter keine Arbeit in meiner Schule bekommen hatte! Ich war in der Pubertät und meinte, sehr gut ohne sie leben zu können. Ich wollte frei sein und hatte mit meinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Nach all dem, was passiert war, fühlte ich mich sehr unsicher, klein und minderwertig. Ich entwickelte mich zum Einzelgänger und zog mich immer mehr in mich selbst zurück. Der Selbstmord meiner Schwester klebte wie Pech an uns. So als könnte jeder sehen, was sie getan hatte. Es war wie moralische Sippenhaft. Wir alle bekamen es zu spüren. Auch wenn sie es nicht taten, fühlte es sich doch so an, als würden die Menschen mit dem Finger auf uns zeigen. Bei jeder Gelegenheit wollte ich weg, aber vor diesem Eindruck gab es kein Entkommen. Es war ein beständiges Gefühl der Scham und der Schande, das mich zu begleiten begann, und es sollte viele Jahre an mir haften bleiben.

Mit sechzehn musste ich ein weiteres Mal die Schule wechseln. Wieder in ein Internat, in dem auch meine Mutter Arbeit gefunden hatte. Es behagte mir gar nicht, wieder unter ihren strengen Augen leben zu müssen, aber ich hatte keine Wahl. Jetzt mied ich sie, wo ich nur konnte. Sie war drakonisch in allen Dingen. Sie legte größten Wert auf Anstand und gute Erziehung. Alles war mir verboten! Sie war nie zufrieden mit mir. Unser Verhältnis ist wohl nur mit Hassliebe zu beschreiben. Ich war abhängig von ihr – bis in die tiefsten Fasern meines Seins. Und ich konnte sie oft kaum ertragen. Aber ich liebte sie doch auch wieder, schließlich war sie meine Mutter.

Die ersten Jahre war ich noch sehr gut in der Schule gewesen. Ich hatte eine schnelle Auffassungsgabe und lernte gern. Aber nach einigen Jahren rebellierte etwas in mir und ich resignierte. Mir wurde klar, dass ich meine Mutter sowieso nicht würde zufriedenstellen können. In der neuen Schule gab ich es schließlich auf, gute Noten haben zu wollen. Ich entdeckte, wie man mit minimalem Aufwand durchkommt, und wurde Meisterin darin.

In dieser Schule lernte ich meine allerbeste Freundin kennen. Ihr Name war Esther. Dieses Phänomen der einzigen, allerbesten Freundin gibt es wohl nur in diesen Jugendjahren. Die Freundin, mit der du alles teilst, der du alles erzählst, die dich in- und auswendig kennt. Das war für mich Esther. Wir waren gleich groß, wogen gleich viel – nur ihre Haare waren dunkler als meine. Wir waren wie Zwillinge. Schneeweißchen und Rosenrot. Wir lasen dieselben Bücher, liebten dieselben Filme und waren in dieselben Jungs vernarrt. Sie war eine sehr starke Persönlichkeit. Und durch sie entdeckte ich meinen Humor. Esther konnte mich zum Lachen bringen wie kein anderer Mensch. Selbstironisch, eigensinnig und stetig mit uns selbst befasst, wirbelten wir durchs Leben. Wir machten es uns zum Ziel, Spaß im Leben zu haben. Und wir hatten nur Unsinn im Kopf. Gemeinsam mit Esther begann ich, auch andere Freunde zu finden.